Ein Brief im Jahr 2010 nach Wittenberg brachte das Projekt ins Rollen», berichtet Sara Nachama rückblickend. «Anlässlich des bevorstehenden 500. Jahrestags des Reformationsbeginns war es mir ein ganz persönliches Anliegen, dass auch das problematische Verhältnis Martin Luthers zum Judentum thematisiert wird», so die Rektorin und Vizepräsidentin des Touro College Berlin. «Aus jüdischer Perspektive ist eine Beschäftigung mit dem Reformator natürlich alles andere als leicht. Schließlich war Martin Luther keine einfache Gestalt.»
Davon zeugen nicht nur die unzähligen Verbalinjurien gegen Juden, sondern auch die Tatsache, dass sich das gesamte «Who’s who» der Antisemiten seit dem 19. Jahrhundert immer wieder auf ihn beziehen konnte. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg stellte sich der Herausforderung und griff Nachamas Idee auf. Das Resultat ist eine facettenreiche Ausstellung, die derzeit in der Sophienkirche in Berlin-Mitte zu sehen ist.
parallel Auf 16. bebilderten Schautafeln wird chronologisch das Verhältnis Martin Luthers zum Judentum und seine Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart beleuchtet. «Dabei erzählen wir parallel die jüdische und die christliche Geschichte», erläutert die mitwirkende Theologin Ingrid Schmidt das Konzept. «Beide Perspektiven erhalten so miteinander korrespondierend einen gleichberechtigten Raum. Das war uns sehr wichtig.»
Weil die wenigsten Zeitgenossen Luthers des Lesens und Schreibens mächtig waren, kommt besonders der damaligen Bildsprache eine zentrale Rolle zu. Mehrere Gemälde des Wittenberger Malers Lucas Cranach und seines gleichnamigen Sohnes leiten daher die Ausstellung thematisch ein. «Durch die Aussagekraft von Cranachs Bildern und durch Luthers eigene Schriften ist dessen negative Sicht des Judentums durch die Jahrhunderte hin wirksam geworden. Das jüdische Selbstbild blieb bedeutungslos, obwohl Jesus, wie Luther anfangs betonte, ›ein geborener Jude‹ war», heißt es dazu.
Erlösung Ein Kapitel der Ausstellung beschäftigt sich eingehend mit den theologischen Ursachen von Luthers Judenfeindschaft. Aus Sicht des Reformators wäre Jesus Christus umsonst gestorben, wenn das Alte Testament ohne das Neue verstanden werden könne. «Alles hing für ihn daran, dass der Nazarener sein Leben nicht vergeblich, sondern zur Erlösung der Menschheit hingegeben hatte, und dass dies keine christliche Erfindung, sondern im Alten Testament angebahnt war», so die Erklärung dazu. Doch aus jüdischer Sicht gab es keinen Bezug in der Tora zu einem Jesus Christus als Messias, was wiederum von Martin Luther als Gefahr für seinen theologischen Ansatz gedeutet wurde, woraus sich dann später sein exzessiver Hass speisen sollte.
Von Kaiser und Rom existenziell bedroht, zeigte sich Martin Luther ursprünglich recht offen für Konzepte religiöser Pluralität. «In den Anfangsjahren der Reformation hatte er in drastischer Kirchen- und Sozialkritik das überkommene unmenschliche Verhalten zu den Juden gegeißelt», sagt Peter von der Osten-Sacken.
«Schon bald begann sich seine Einstellung jedoch zu wandeln, und in seinen späten Jahren rief er die Obrigkeiten zur wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Verelendung der Juden und damit zur Anwendung von Gewalt ihnen gegenüber auf», so der langjährige Leiter des Instituts für Kirche und Judentum an der Humboldt-Universität. Faktisch richtete Luther an die Juden die Erwartung: entweder Bekehrung oder Vertreibung. 1543 formulierte er sieben Forderungen, wie mit den Juden zu verfahren sei. «Damit lieferte Luther quasi das Programm zur Pogromnacht von 1938», so von der Osten-Sacken.
Die Ausstellung zeigt auf beeindruckende Weise, wie die evangelische Kirche versucht, sich anlässlich des Reformationsjahres 2017 diesem Erbe zu stellen und sich mit ihm auch in Zukunft auseinanderzusetzen.
«Martin Luther und das Judentum – Rückblick und Aufbruch». Noch bis 18. Dezember, Sophienkirche, Große Hamburger Straße 29/30, 10115 Berlin. Vom 16. November bis 7. Dezember findet in der Sophienkirche eine Vortragsreihe zur Ausstellung statt.