Wien bleibt Wien – und das ist wohl das Schlimmste, was man über diese Stadt sagen kann», soll Alfred Polgar nach dem Krieg bemerkt haben, wenn man dem Zeugnis von Friedrich Torberg trauen darf. Dass die österreichische Hauptstadt sich mit Zögerlichkeiten und Bedenken treu bleibt, wenn es um die Rückgabe von geraubtem jüdischen Besitz geht, ließen die langjährigen juristischen Auseinandersetzungen um die Sammlung Rothschild erkennen. Und daran erinnerte dieser Tage die New York Times – ausgerechnet am Beispiel des Jüdischen Museums Wien.
bestände Das Museum wurde 1988 gegründet. Eigentlich wiederbegründet, denn bereits 1895 gab es nach zweijähriger Vorbereitungszeit in Wien ein Jüdisches Museum, weltweit das erste. Von den 6474 Objekten, die es 1939 besaß, als es von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, konnten nach dem Krieg 3571 der Israelischen Kultusgemeinde zurückgegeben werden.
Sie bilden als Dauerleihgabe den Grundstock des Hauses im Palais Eskeles in der Dorotheergasse. Dazu kamen als Erwerbungen und Legat die Sammlungen Max Berger und Eli Stern, als Schenkung die Antisemitica der Sammlung Martin Schlaff und als weitere Dauerleihgabe die Stiftung Sussmann. So entstand eine Kollektion, die vom Ritualgerät über Alltagsgegenstände und Bücher bis zu einer umfangreichen Postkartensammlung reicht. Kunstwerke im engeren Sinne sind eher ein Nebenaspekt.
Doch auf die konzentriert sich gewöhnlich die Kritik, wenn es um die Restitution geht. Das war auch hier nicht anders. Bei den Recherchen für ein Werkverzeichnis des Malers Jehudo Epstein ergab sich, dass ein Teil der 172 Gemälde, die er 1936 vor seiner Emigration bei dem befreundeten Textilfabrikanten Bernhard Altmann deponiert hatte und die nach dessen Flucht in letzter Minute dann von den Nazis konfisziert wurden, in Wiener Museen, auch im jüdischen, aufbewahrt wurde. Sie gehören zu den 490 Objekten und 983 Büchern, die als «bedenkliche Erwerbungen» gelten, wie es der Beschluss des Wiener Gemeinderates zu Restitutionen vom April 1999 etwas seltsam formuliert. Seit 2002 belegt der jährliche Restitutionsbericht, dass inzwischen mehrere Tausend Objekte aus städtischen Sammlungen und Bibliotheken zurückgegeben wurden. Nur das Jüdische Museum kommt dabei nicht vor.
geldmangel Was in diesem Fall wie das Messen mit zweierlei Maß aussieht, hat jedoch einen recht zwiespältigen Hintergrund. Und dabei spielt Geld eine wesentliche Rolle. Das erläutert die Internetseite des Museums, die – wohl wegen der Aufmerksamkeit jenseits des Atlantiks – vor einer Woche à jour gebracht wurde. Danielle Spera, seit Mitte 2010 Direktorin des Hauses, betonte deshalb in einem Interview: «Es gehört zurückgegeben, was unrechtmäßig erworben wurde. Da gibt es nicht einen Hauch des Zögerns!»
Nur ist das leichter gesagt als getan. Denn erst seit 1993 verfügt das Museum über ein eigenes Haus, sodass man mit dem Ordnen der Bestände, der Einrichtung einer Dauerausstellung und der Planung von Wechselausstellungen beginnen konnte. Allerdings ist – im Gegensatz zu anderen Museen der Stadt – in Sachen Provenienzforschung wenig geschehen. Erst 2008 wurde begonnen, die Bestände auf Objekte mit unsicherer Herkunft zu untersuchen. 2009 folgten dann die Bücher.
Da der Etat des Museums 2007 eingefroren und nicht, wie bis dahin üblich, an die steigenden Kosten angepasst worden war, es von der Stadt auch keine Sondermittel für die Provenienzforschung erhielt – wie sie die Republik für die Österreichischen Bundesmuseen bereitstellte – und auch «forMuse», das Förderprogramm des Wissenschaftsministeriums, keine Projektmittel dafür bewilligte, fehlte das Geld für eine systematische Provenienzforschung. Eine Fachkraft konnte deshalb 2009/10 lediglich mit einem Zehn-Wochenstunden-Vertrag eingesetzt werden, um als erstes die Herkunft von 24 Gemälden zu untersuchen. Davon sind vier möglicherweise zu restituieren, vorausgesetzt, es lassen sich Erben der Eigentümer finden.
halbzeitstelle Danach trat erneut eine Zwangspause ein, weil das Palais Eskeles 2011 wegen notwendiger Sanierungen für fast ein Jahr geräumt, das Depot ausgelagert werden musste. Zwischenzeitliche Verhandlungen mit der Stadt, um angesichts des seit Jahren eingefrorenen Etats die Provenienzforschung bei der Mittelzuweisung zu berücksichtigen, blieben ebenso ohne Erfolg wie das Bemühen um finanzielle Unterstützung für eine Erneuerung der Dauerausstellung. Trotzdem wurde im Dezember 2011 eine Mitarbeiterin mit einem halben Vertrag für die Erforschung der Herkunft von Objekten, die aus Enteignungen, Zwangsverkäufen und Raub stammen könnten, eingestellt.
Das allerdings ist eine komplizierte Aufgabe. Denn vieles, was nach dem Krieg als «jüdisches Restvermögen» der Kultusgemeinde übergeben wurde oder durch Sammler, die es guten Glaubens erwarben, ins Haus kam, trägt keinerlei Hinweise auf die Vorbesitzer. Das gilt besonders für das Kultgerät, das – anders als bei Kunstwerken – fast nie gekennzeichnet oder gar mit Fotos dokumentiert worden ist. Und selbst bei Gemälden kann das schwierig sein.
Die Bilder von Jehudo Epstein sind dafür ein Beispiel. Nach der Konfiskation durch die Nazis wurde nämlich bei einigen die Signatur übermalt, um zu verschleiern, dass sie ein jüdischer Künstler geschaffen hatte. Nachdem das erkannt worden war, kam die Restitution in Gang. Doch das ist erst ein Anfang. «Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit», hat der Kabarettist Karl Farkas einst gespottet. Nur ist das allzu oft eine Vergangenheit, in der die Jahre von 1938 bis 1945 nicht vorkommen.