Nach Ausbruch der Corona-Pandemie zog er ein gelbes Cape an, nannte sich »Captain Future« und suchte auf Demonstrationen der »Querdenken«-Bewegung den Schulterschluss mit Neonazis und Reichsbürgern. Die Bundesregierung bezeichnete er als »Faschisten«, Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn verglich er mit Hitler und Geimpfte sogar mit »Ariern«.
Vom rechtsextremen Verschwörungsblatt »Compact« ließ er sich interviewen. Am 20. Juli 2021, dem »Tag des Widerstandes« gegen den Nationalsozialismus, wollte er gar der »Impftoten in Israel« gedenken. Ausgerechnet am Holocaust-Mahnmal und gemeinsam mit dem inzwischen Ex-AfD-Politiker Stefan Bauer. Er wurde wenige Monate später aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er vor einer KZ-Gedenkstätte die Corona-Impfung mit dem Einsatz von Zyklon B verglichen hatte.
»KITKAT« Michael Bründel heißt der Mann hinter der Superhelden-Maske. Aufgrund seiner aktivistischen Laufbahn sorgte seine Einladung als DJ im Berliner Fetisch-Club »KitKat« vor einigen Wochen für heftige Kritik innerhalb der Partyszene.
Am 17. Juni sollte Bründel ursprünglich auf der externen Veranstaltung »Mystic Rose« auflegen; einer neonfarbenen Psytrance-Party. Bereits vor der Pandemie hatte Bründel hin und wieder im Klub aufgelegt.
In einer Stellungnahme auf Facebook äußerte sich »KitKat«-Betreiberin Kirsten Krüger: Bründel sei auf der Party lediglich als DJ eingeladen worden, »nichts anderes«. Sie finde ihn durchaus unterhaltsam, wolle ihn allerdings in seinem Aktivismus nicht unterstützen. Krüger verglich auch die Kritik an »Captain Future« mit der Situation von ausgeladenen russischen Künstlern, nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte.
SOZIALE MEDIEN Nach besagtem Statement hagelte es in den sozialen Medien Kritik. In den Kommentaren zeigten sich viele Nutzerinnen und Nutzer empört über die mangelnde Distanzierung von »Captain Future«. In einem zweiten Statement schrieb Krüger, sie ärgere sich, dass sie sich überhaupt zu dem Booking geäußert habe.
Andere verglichen die Situation des ausgeladenen DJs in ihren Kommentaren sogar mit dem Nationalsozialismus und der Schoa. Ein User schrieb: »Wenn jetzt jeder Gärtner auf seine Gesinnung geprüft wird, sind wir bald da, wo wir nicht hin wollten: ›Kauf nicht beim …!‹« Ein anderer: »Du fährst doch (…) über die Straßen, die Hitler hat bauen lassen, oder meidest du die auch?« Eine Frau kommentierte: »Heute Russen hassen, morgen wieder Ungeimpfte, und übermorgen wollen sie vom Duschen wieder nichts gewusst haben.«
Der »Mystic Rose«-Veranstalter »Ananto«, mit bürgerlichem Namen Ingo Damm, lud Bründel nach der Empörungswelle von der Party prompt wieder aus. In einem Statement schrieb er, dass er Bründel als DJ und nicht als »Politaktivisten« gebucht habe. Bründel sei kein Nazi, sondern lediglich »vielleicht zu dumm oder naiv« gewesen, »sich mit Nazis oder AfDlern ablichten zu lassen«.
IMPFGEGNER Doch auch Damm ist kein unbeschriebenes Blatt. Im vergangenen Oktober bewarb er die »27 Year Mystic Rose Celebration« im »KitKat« mit einem Ankündigungstext, in dem er sich als Impfgegner positionierte; die damals geltende 2G-Regelung für Geimpfte und Genesene kritisierte er scharf, das Coronavirus verglich er mit einer »fetten Grippe«.
Auf seinem privaten Facebook-Profil sprach er von »Impfpropaganda«. In einem Kommentar schrieb er in Bezug auf den NS-Arzt Josef Mengele: »Mengele hätte seine wahre Freude gehabt an dieser Entwicklung (die Corona-Pandemie) …immerhin hatte er noch seine Menschen … (Laborratten) dazu zwingen müssen in Konzentrationslagern, (…) heute bieten sich die Laborratten freiwillig an, an diesen Versuchen teilzunehmen.«
Auf eine Anfrage der Jüdischen Allgemeinen zu »Captain Future« und dem »Mystic Rose«-Veranstalter Damm reagierte »KitKat«-Betreiberin Krüger mit einer kurzen Stellungnahme, aus der allerdings nicht zitiert werden darf. Eine Distanzierung von den beiden Personen kommt darin nicht vor. Die Partyreihe werde weiterhin im Klub stattfinden, heißt es lapidar.
Die Klubkultur ist nicht zwangsläufig progressiv, auch wenn viele an dieser Tradition festhalten.
Vorfälle wie der mit »Captain Future« oder der »Mystic Rose«-Party sind in vielerlei Hinsicht symptomatisch für eine Partyszene, die sich selbst als progressiv verstehen will, im Hinblick auf Antisemitismus allerdings viel zu häufig blinde Flecken aufweist.
House und Techno entstanden ab den 80er-Jahren in überwiegend schwarzen, lateinamerikanischen und queeren Milieus. Die Klubszene hatte und hat daher teilweise immer noch einen emanzipatorischen Anspruch, und zwar als Schutzraum für marginalisierte Gruppen.
Doch die Szene scheitert immer wieder an den eigenen Ansprüchen. Die Klubkultur ist folglich nicht zwangsläufig progressiv, selbst, wenn viele offiziell immer noch an dieser Tradition festhalten wollen.
BDS Das zeigt auch ein weiterer Trend in der Klubszene: Die antisemitischen Botschaften der BDS-Bewegung stoßen dort auf offene Ohren – in Berlin und selbst darüber hinaus. Ein prominentes Beispiel dafür ist die 2018 lancierte Social-Media-Kampagne #DJsForPalestine.
Größen der internationalen elektronischen Musikszene wie Ben UFO, The Blessed Madonna und Four Tet teilten damals eine pinke Kachel mit weißer Schrift auf ihren reichweitenstarken Profilen. Es handelte sich um einen Aufruf, den jüdischen Staat zu boykottieren. Koordiniert wurde die Kampagne von der »Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel« (PACBI), ein Gründungsmitglied der BDS-Bewegung.
Auch für die elektronische Musikszene in Deutschland hat das Folgen: 2019, ein Jahr nach der #DJsForPalestine-Kampagne, rief die PACBI dazu auf, die deutschen Klubs »About Blank«, »Conne Island« und »Golden Pudel« zu boykottieren, weil diese angeblich »antipalästinensisch« seien, in Wirklichkeit aber der BDS-Kampagne kritisch gegenüberstanden.
Im Juni 2021 gründete sich die anti-israelische Kampagne »Berlin Nightlife Workers Against Apartheid«.
»apartheid« In einem offenen Brief behaupten die Unterzeichnenden, die »deutsche Identitätspolitik« würde das kollektive Trauma der Jüdinnen und Juden »zur Waffe machen«. Die Solidarität mit Israel in Deutschland sei nur auf »German guilt« zurückzuführen. Sie kritisieren »Apartheid«, »racial supremacy«, »ethnische Säuberung« sowie die »koloniale Kampagne« in Israel – alles beliebte BDS-Buzzwords.
Mit Erfolg: Der offene Brief wurde von einigen der bekanntesten queeren Partyreihen der Hauptstadt geteilt, beispielsweise »CockTail d’Amore« und »Gegen«.
Zeitgleich zur Kampagne der »Berlin Nightlife Workers Against Apartheid« trennte sich auch die queere Party »Buttons« von ihrem langjährigen Veranstaltungsort, dem Friedrichshainer Technoklub »About Blank« – wegen seiner vermeintlichen pro-israelischen Position.
NAHOSTKONFLIKT Die offizielle Haltung des Klubs ist unterdessen auf der Webseite zu lesen: »Der ›Nahostkonflikt‹ kann nicht auf dem Dancefloor gelöst werden.« Gleichzeitig setzt sich das »About Blank« konsequent gegen jeden Antisemitismus ein, organisiert auch Diskussionsveranstaltungen zu diesen und anderen politischen Themen.
Einige Monate nach der Trennung vom Klub äußerte sich der »Buttons«-Veranstalter Danilo Rosato gegenüber dem »Neuen Deutschland«: »Ich bin bis in meine Knochen gegen Antisemitismus«. Das hielt ihn aber offenbar nicht davon ab, Israel im gleichen Atemzug als »einen mächtigen faschistischen Staat« zu bezeichnen.
»Buttons« war kein Einzelfall. Im Juli 2021 sagte »Wet«, eine queerfeministische Partyreihe aus Wien, nach dem Druck aus den sozialen Medien ihre Party im »About Blank« ab.
druck Im Oktober desselben Jahres gab die niederländische Techno-DJ KI/KI nur wenige Stunden vor ihrem Auftritt im »About Blank« auf Instagram bekannt, dass sie sich von der Party zurückziehen wollte, wegen der vermeintlichen Position des Klubs zum Nahostkonflikt – offenbar auf Druck von BDS-Anhängern.
Auf Nachfrage wollte sie sich allerdings nicht äußern, was mit dieser Äußerung genau gemeint war, oder ob sie möglicherweise die BDS-Bewegung an sich unterstützt.
Nach einer zweijährigen pandemiebedingten Party-Pause in Berlin läuft die Klubszene inzwischen wieder auf Hochtouren. Doch ob »Captain Future« oder Erfolge der BDS-Bewegung, eines wird immer deutlicher: Auch die Klubszene ist gegen Antisemitismus offenbar nicht immun.