Judea Pearl ist auf seinem Fachgebiet eine Koryphäe – und doch kennen die meisten Menschen den mehrfach ausgezeichneten israelisch-amerikanischen Wissenschaftler hauptsächlich als Vater des 2002 in Pakistan von Terroristen entführten und ermordeten Journalisten Daniel Pearl.
1936 in Tel Aviv geboren, hatte Judea Pearl zunächst ein Studium der Elektrotechnik am Technion in Haifa beendet und war dann in die USA gegangen, wo er zunächst ein Masterstudium in Physik absolvierte und dann eine Doktorarbeit im Fach Elektrotechnik schrieb. Über mehrere Stationen führte ihn sein wissenschaftlicher Weg 1970 schließlich an die UCLA, die Universität von Kalifornien, wo er auch heute noch als Professor tätig ist.
Google Pearls Forschungsgebiet wird unter Informatikern meist knapp als »KI« abgekürzt: Künstliche Intelligenz. Der Begriff steht für die Bausteine des Denkens, der Kreativität, der Vorstellungskraft und der Sprache.
Zum Einsatz kommen die Ergebnisse aus dieser Forschung überall dort, wo Menschen und Maschinen zusammenarbeiten müssen, um Aufgaben bewältigen zu können, und wo besonders große Datenmengen ausgewertet werden müssen. In der Medizin, der Gentechnik und bei Internetsuchmaschinen wie Google kommen diese Techniken bereits zum Einsatz.
Besonders am Beispiel von Suchmaschinen lässt sich die Zusammenarbeit gut nachvollziehen: Das Programm bekommt vom Menschen nichts weiter als Stichworte und generiert daraus Listen von möglichst relevanten und passenden Seiten. Das ist vor allem deshalb nicht so einfach, weil ein ganzer Marketing-Sektor mittlerweile versucht, diese Künstliche Intelligenz von Google auszutricksen – mit dem sogenannten Search Engine Optimizing (SEO). Eine solche Optimierung soll dazu führen, dass eine Internetseite bei den Ergebnissen möglichst weit oben auftaucht, auch wenn sie vielleicht doch nicht ganz so relevant ist.
Aber bei der Internetsuche handelt es sich nur um ein Anwendungsbeispiel von Künstlicher Intelligenz. Überall, wo der Computer dem Menschen unterstützend unter die Arme greift und sich dabei auf verschiedene Situationen einstellen muss, ist KI im Spiel. Geforscht wird zum Beispiel an Systemen, die zur Terrorabwehr dienen können.
Sie sollen am Flughafen die Mikroreaktionen – winzige mimische Veränderungen – der Fluggäste auf die bekannten Fragen wie »Haben Sie Ihren Koffer selbst gepackt?« oder »Was ist der Grund Ihrer Reise?« auswerten und so Lügen erkennen – ganz wie in der Fernsehserie Lie to Me. »Die einzige Möglichkeit, mehr über uns zu erfahren, ist die, Roboter so zu programmieren, dass sie uns nachahmen können. Dadurch verstehen wir die Architektur des menschlichen Geistes«, erklärt Judea Pearl. Seine eigenen Forschungen legten unter anderem die Grundlage für die Spracherkennungssoftware von Apple.
ausgezeichnet Pearl wurde am 29. März mit dem vom Technion vergebenen Harvey-Preis ausgezeichnet. Es ist nicht die erste Auszeichnung für ihn, jüngst bekam er für seine wahrscheinlichkeitstheoretischen Forschungen bereits den Turing Award verliehen, der als Nobelpreis der Informatik gilt. 2008 erhielt er die Benjamin-Franklin-Medaille.
Doch Judea Pearl ist seit der Ermordung seines Sohnes nur noch die Hälfte der Zeit als Forscher tätig. Zum Gedenken an ihn rief er die Daniel-Pearl-Stiftung ins Leben, mit der er jedes Jahr die »Daniel Pearl Music Days« veranstaltet, zu denen es allein im vergangenen Jahr 2.091 Konzerte in 84 Ländern gab. Jedes Jahr werden außerdem drei Journalisten aus muslimischen Ländern fünfmonatige Praktika bei renommierten Zeitungen wie dem »Wall Street Journal« oder der »New York Times« ermöglicht, inklusive einer einwöchigen Mitarbeit beim »Jewish Journal of Los Angeles«.
Philosoph Durch den Tod seines Sohnes hat sich Judea Pearl, wie in Zeitungsberichten immer wieder betont wird, vom Wissenschaftler zum Philosophen und darüber hinaus zu einem sehr begabten Redner und Publizisten entwickelt. 2009 schrieb er zum siebten Todestag seines Sohnes einen Artikel im »Wall Street Journal«, für das Daniel gearbeitet hatte.
»Danny war ein Optimist, der fest an das Gute im Menschen glaubte. Aber er war auch ein Realist, der sich nicht durch Idealismus den Blick auf die Fakten trüben ließ«, schreibt Judea Pearl. »Weder er noch die Millionen, die von seinem Mord geschockt waren, hätten sich vorstellen können, dass sieben Jahre später sein Entführer Omar Saeed Sheikh nach Informationen einiger südasiatischer Medien aus einem pakistanischen Gefängnis heraus Terroraktivitäten planen würde. Oder dass sich sein Mörder, Khalid Sheikh Mohammed, in Guantanamo vor dem Militärtribunal vor jubelnden Dschihadisten mit dem Mord rühmt«, so Pearl.
Pearls Kritik an der internationalen Gemeinschaft aber geht noch weiter. Sein Sohn Daniel habe sich sicher auch nicht vorstellen können, schrieb Pearl an einer anderen Stelle, dass »Gilad Schalit den 950. Tag seiner Gefangenschaft ohne Besuch des Roten Kreuzes verbringen müsste, während die Mächtigen der Welt ernsthaft Debatten darüber führen, ob man seine Entführer international anerkennen sollte«. Judea Pearl betont immer wieder: »Es darf nicht angehen, dass Terror mit Akzeptanz belohnt wird.«