»Im schwarzen Viereck« nannte Wassily Kandinsky (1866-1944) seine Arbeit aus dem Jahr 1923, in der schwarze Linien, farbige Kreise, Halbkreise und Dreiecke auf weißem Hintergrund über die helle, von schwarzer Rahmung eingefasste Fläche tanzen. Das Bild zum Auftakt der neuen Ausstellung »Kosmos Kandinsky«, die ab Samstag im Potsdamer Barberini zu sehen ist, zieht sogleich in den Bann.
Es wirkt wie eine provokante Antwort auf das »Schwarze Quadrat« (1915) seines Malerkollegen und Erfinders des russischen Konstruktivismus, Kasimir Malewitsch (1879-1935), der in der neuen Schau mit einer skulpturalen Arbeit vertreten ist; reagiert aber auch auf weitere russische Künstlerinnen und Künstler wie Ljubow Popowa (1889-1924) oder El Lissitzky (1890-1941), die hier zu sehen sind. Ihre Werke bilden einen ersten Resonanzraum.
Der Ausstellungstitel »Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert« markiert Ausgangspunkt und Rahmen: »Er bezeichnet die Ideen und das Netzwerk von Kandinsky«, erklärt Kuratorin Sterre Barentsen: »Inspiriert von der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie der Existenz von Elektronen und radioaktiven Wellen, beginnt er die unsichtbare Welt zu malen.«
125 Gemälde, Skulpturen und Installationen von 70 Künstlerinnen und Künstlern
Mit 125 Gemälden, Skulpturen und Installationen von 70 Künstlerinnen und Künstlern verfolgt die Schau die Entwicklung der geometrischen Abstraktion, von den Anfängen mit Kandinsky als Protagonisten bis hin zu späten Einflüssen der Op-Art (oder optischen Kunst) der 1960er Jahre. Zu sehen sind Arbeiten unter anderem von Piet Mondrian (1872-1944), Sonia Delaunay (1885-1979), Naum Gabo (1890-1977), Miriam Schapiro (1923-2015) und Frank Stella (1936-2024). Zwölf Meisterwerke von Kandinsky selbst bilden den roten Faden, darunter »Weißes Kreuz« (1922) als Leihgabe der Peggy-Guggenheim-Collection; ein Werk, das selten reisen darf.
Die ersten Räume gehen von Kandinskys Lebensstationen aus. Geboren in Moskau nimmt er 1896 ein Kunststudium in München auf. 1911 publiziert er seine richtungsweisende Schrift »Über das Geistige in der Kunst«, die über geometrische Formen reflektiert.
Durch den Ersten Weltkrieg gezwungen, kehrt Kandinsky 1914 zurück nach Moskau. Hier trifft er auf Konstruktivisten wie El Lissitzky und Malewitsch. Während sie ihre Kunst ab 1917 in den Dienst der Revolution stellen, ist Kandinsky weiterhin an der geistigen Dimension der Kunst interessiert. 1922 wird er ans Bauhaus nach Weimar berufen, wo er neue Anregungen aufnimmt. Beispiele etwa von Josef Albers (1888-1976) und László Moholy-Nagy (1895-1946) belegen Wechselwirkungen.
Ausstellung folgt Kandinsky ins Exil
Mit dem Schwerpunkt Paris folgt die Ausstellung Kandinsky ins Exil. Dort trifft er auf die Visionen der Gruppe Abstraction-Création, der er sich anschließt. Mit Arbeiten von Piet Mondrian setzt das Barberini hier einen eigenen Schwerpunkt.
Die Ausstellung würdigt auch die Rolle Londons, mit dem Zweiten Weltkrieg Zentrum der geometrischen Abstraktion, befördert durch Künstler wie Barbara Hepworth (1903-1975) und Ben Nicholson (1894-1982). In den USA prägen europäische Exilanten wie Josef Albers, die weitere Entwicklung. Die Strömung Hard Edge mit ihren klaren Formen, scharfen Konturen und stark leuchtenden Farben beleuchten großformatige Arbeiten unter anderem von von Frank Stella.
Das Abschlusskapitel ist der Op-Art der 1960er Jahre gewidmet. Es thematisiert, wie Künstler Erkenntnisse des Bauhauses zur Wirkung von Farben und Formen einsetzen, verbunden mit einer neuen Faszination für moderne Technik. Bridget Riley und Victor Vasarely (1906-1997) bringen in strengen Schwarz-Weiß-Arbeiten geometrische Muster durch minimale Abweichungen zum Schwingen, während Künstler wie Richard Anusziewicz (1930-2020) und Julian Stanczak (1928-2017) mit der Form des Quadrats und leuchtenden Farbpaletten experimentieren. Ein schwindelig machender Effekt kennzeichnet die Beispiele dieser letzten Variante der geometrischen Abstraktion, sodass die Ausstellung anregt und zugleich berauscht.