Frau Goh, Herr Ottolenghi, in Ihrem neuen Buch »Sweet« gibt es Rezepte, die Sie, Frau Goh, an Australien erinnern, wo Sie aufgewachsen sind, und Sie, Herr Ottolenghi, an Ihre Kindheit in Jerusalem. Welches Gebäck würde denn zu Berlin passen?
Yotam Ottolenghi: In den 90er-Jahren habe ich eine Zeit lang in Berlin gelebt – als ich noch jung war. Jeden Tag habe ich in einer Bäckerei eine Apfeltasche gekauft. Für mich müsste also unbedingt Apfel mit dabei sein. Meine Großmutter hat auch viel mit Äpfeln gebacken. Das ist ziemlich deutsch. Aber mir fallen auch gleich die vielen Gewürze ein: Zimt, Nelken – also irgendetwas mit diesen Zutaten.
Helen Goh: Ich muss zugeben, dass mein Wissen um das deutsche Backen nicht wirklich gut ist, aber als ich mit dem Backen angefangen habe, besuchte ich einen Kurs, in dem Bienenstich zubereitet wurde. Ich fand den damals nicht so gelungen, aber ich würde sehr gern einmal einen richtig guten Bienenstich essen, denn ich liebe das Aroma: Mandeln, Honig, etwas knusprig, etwas klebrig. Ich würde daraus gern eine Art Schnecke machen.
Ottolenghi: Du kochst die Butter, den Honig, gibst Mandeln dazu, und alles kommt auf den Teig. Das Rezept habe ich sogar. Es ist so lecker.
Sie haben Ihre Rezept an vielen, vielen Sonntagen verkostet. Beschreiben Sie uns doch einmal einen dieser Tage.
Ottolenghi: Diesem Tag ging voraus, dass Helen bereits ab der Wochenmitte in der Küche gestanden und viele Kuchenvariationen vorbereitet hatte. Das konnten auch Tartes mit vielen unterschiedlichen fruchtigen Füllungen sein oder Toffees, Sponge-Cakes mit Gewürzen oder auch Cookies – jeder Entwurf hatte etwas Eigenes. Alles fing eigentlich immer ganz zivilisiert an – der Zucker hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht seine Wirkung entfaltet. Wenn man Kindern zu viel Zucker gibt, drehen sie auf. Und so war das auch ungefähr bei uns. Mit jedem Bissen wurden unsere Unterhaltungen intensiver und spezieller.
Goh: Wir haben diese Verkostungen auch deswegen immer sonntags gemacht, weil wir viel Zeit zum Probieren brauchten. Es ist schwer, einen Kuchen allein zu essen. Auf den Vergleich kam es uns an. Denn nur so konnten wir diese kleinen Feinheiten herausarbeiten.
Und wie fühlten Sie sich nach so einem Tag?
Ottolenghi: Man kann für eine gewisse Zeit keinen Zucker mehr sehen.
Goh: Dabei fing alles immer sehr aufregend an. Nur zum Schluss war es etwas berauschend.
Welchen Einfluss hat Ihrer beider Herkunft auf die Rezepte im Buch?
Ottolenghi: Wir sind Menschen mit einem Mix aus den Kulturen. Das ist für das Kochen und Backen sehr bereichernd, und es beeinflusst die Art und Weise, wie wir Essen sehen. Wenn man Rezepte kreiert, muss man ständig darauf achten, ob die Kombination gut ist, was funktioniert und was nicht. Kommt man aus nur einer kulinarischen Kultur, tendiert man dazu, auch dabei zu bleiben. Wenn man Italiener, Palästinenser, Libanese oder Türke ist, dann kommt man aus einer sehr langen Tradition des Kochens und schaut vielleicht seltener über den eigenen Tellerrand hinaus. Denn die Rezepte sind gut, sie funktionieren und haben eine Geschichte. Bei uns ist es eher so: Weil wir eine unterschiedliche Herkunft haben, haben wir die Freiheit, auch mal zu experimentieren. Und das tun wir sehr oft.
Goh: Ich denke auch, dass wir etwas aufmerksamer für andere Einflüsse sind, weil wir aus verschiedenen Ländern kommen. Und diese Neugier führt dazu, dass wir uns oft fragen: »Wie könnte wohl diese Zutat mit jener zusammengehen?«
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Goh: Ich bin 2006 nach London gekommen, um meinen heutigen Mann zu heiraten. Mal abgesehen von der Hochzeit, wusste ich nicht wirklich, was ich in der Stadt machen sollte. Eine Freundin empfahl mir, bei Ottolenghi vorbeizugehen, was ich auch tat. Ich war begeistert. Das Essen, diese Farben, und ich vermutete, dass die Menschen, die so etwas zubereiten, sehr selbstlos sein müssen, um so viel zu geben und solch eine Auslage zu erschaffen. Ich schrieb Yotam also an, und er antwortete mir.
Ottolenghi: Ich bekam einen Tipp von jemandem, der Helen schon aus ihrem Café in Melbourne kannte und mir gesagt hatte, dass sie sehr gut sei. Nach einer Weile stellten wir fest, dass wir gut zusammenpassen, und so entstanden Unterhaltungen wie diese an den Sonntagen. Was passt, was schmeckt und so weiter. Man merkt ziemlich schnell, ob man einem Menschen gegenübersitzt, der ähnlich tickt. Ein Foodie zu sein, ist nichts Seltenes. Es gibt allerdings diese feine Linie zwischen freakig und ernst.
Goh: Ich habe immer mit Menschen gearbeitet, die es lieben zu kochen. Aber es gibt sehr Wenige, die auch über Essen sprechen wollen. Und schlussendlich war es uns immer wichtig, dass es nicht um den Intellekt, sondern um die Sinne geht – gerade beim Backen
Ottolenghi: Der ganze Prozess darf nicht nur mit etwas enden, dass beeindruckend ist, sondern es muss auch ein Geschmackserlebnis sein. Das hat bei uns oberste Priorität. Ich bin mir nicht sicher, ob das in der Kochwelt generell immer so ist. Manchmal heißt es doch eher: »Das ist ja interessant, aber schmeckt es auch?« Ich teste viele Rezepte, aber der ultimative Beweis, ob etwas gut ist, ist immer, wenn jemand ein Gericht aus unserer Testküche weitergibt, um es nicht mit nach Hause zu nehmen. Das, was stehen bleibt, wird von uns hinterfragt.
Weil wir gerade von Geschmackserlebnissen sprachen: Sie haben in Ihrem Buch ein Rezept für Sufganiot. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?
Goh: Mein Mann ist jüdisch, wir haben zwei Kinder, und manchmal ist es schon etwas unübersichtlich: Ich habe mein chinesisch-buddhistisches Erbe, mein Mann ist Jude, Australier und Brite. Aber wir geben in jedem Jahr eine große Chanukka-Party für unsere Kinder. Und letztendlich ist es auch eine Lizenz, endlich einmal so richtig viel Frittiertes zu essen. Ich habe also nach dem ultimativen Donut-Rezept gesucht. Meine Schwiegermutter hat eine Zeit lang in Jerusalem gelebt, und sie hatte ein Rezept aus der »Jerusalem Post«. Das gab sie mir, wir haben ein paar Veränderungen vorgenommen, aber ich finde dieses Rezept großartig. Und – wenn man es einmal gemacht hat – ist es auch gar nicht so aufwendig, wie man vielleicht zuerst beim Lesen denken mag. Das ist übrigens ein wichtiger Punkt: Lesen Sie das Rezept immer zuerst durch!
Ottolenghi: In diesem Rezept gibt es diese Safrancreme. Die müssen Sie nicht unbedingt zubereiten. Es funktioniert auch sehr gut mit Marmeladen. In Deutschland gibt es davon sehr gute. Die Füllung mit Safrancreme ist vielleicht ein unnötiger Schritt – für Foodies natürlich nicht. Aber Marmelade geht auch.
Goh: Ja, aber Sie können auch einfach die Safrancreme machen. Die ist unglaublich. Vielleicht ein Kompromiss: Lassen Sie den Safran weg, aber machen Sie unbedingt die Creme.
Frau Goh, Sie sind eigentlich Psychologin: Ist Backen gut für die Seele oder vielleicht sogar eine Form der Therapie?
Goh: Nun, ich verbinde die beiden Sachen natürlich nicht miteinander und möchte Ängste oder Depressionen keinesfalls trivialisieren, aber Backen hat schon eine therapeutische Wirkung. Menschen, die alltägliche Ängste haben oder sehr grüblerisch sind, haben manchmal das Gefühl, nichts zu erreichen, und können durch jede Art von kreativem Schaffen vielleicht etwas davon befreit werden. Gerade beim Backen gibt es viele kleine Schritte, die erledigt werden müssen. Zum Schluss bringt man alle diese kleinen Schritte zu etwas Schönem zusammen, das man dann auch noch mit Menschen teilen kann. Ich denke also, dass es schon helfen kann.
Ottolenghi: Kochen und backen haben auch diesen erdenden Effekt. Man muss sich Zeit nehmen, muss den Abläufen folgen und kann auf diese Art seinen Kopf freimachen. Backen ist sehr detailreich, aber man hat diese tolle Wirkung, dass man das Ergebnis entweder sich selbst oder anderen Menschen schenken kann.
Mit den Backbuch-Autoren sprach Katrin Richter.
Yotam Ottolenghi und Helen Goh: »Sweet. Süße Köstlichkeiten« Dorling Kindersley, München 2017, 368 S., 26,95 €