Singer/Songwriterinnen: Das sind seit Joan Baez junge sendungsbewusste Frauen, bewaffnet mit nichts als der Gitarre. Das Strickmuster ihrer Lieder ist so schnell durchschaut wie die sich wiederholenden Gefühlsbefindlichkeiten. Auch das Debüt-Album Silver and Ash der Amerikanerin Clare Burson scheint zunächst dem Girl-mit-Gitarre-Schema zu entsprechen, zuweilen erweitert zu einer IndieRock-Band mit Gastmusikern wie dem Gitarristen Mark Spencer, Andy Cotton am Bass oder Tony Leone am Schlagzeug. Gut gemacht, aber musikalisch nicht mehr als die übliche Mustermädchenmusik.
Wären da nicht die Texte. In dem Titel Everything’s Gone etwa skizziert Burson mit wenigen Worten eine heile Welt: Vater mit Baby im Wohnzimmer, die Mutter macht den Abwasch, und das Radio läuft. »Alles ist vorüber, aber wir sind immer noch hier.« Das klingt zunächst banal, ein wenig mysteriös vielleicht. Doch diese Szene spielt Ende der 30er-Jahre in Deutschland, und die Familie in dem Song ist jüdisch. Es ist die Familie von Clare Bursons Großmutter. Um sie und ihr Schicksal geht es in jedem der Verse.
davongekommen Clare Bursons Großmutter lebte mit ihren Eltern in der Thomasiusstraße in Leipzig und kam gerade noch davon. Am Morgen des 9. November 1938 – nur wenige Stunden vor dem Beginn des Pogroms – verließ die damals 19-Jährige zusammen mit ihrem ein Jahr jüngeren Bruder Axel die Messestadt Richtung Hamburg, von wo sie nach London fuhren. Das Cover der CD zeigt das rettende Schiff, das die Geschwister aus England in die USA brachte. Dort lebten Verwandte, die für die beiden gebürgt hatten. Die Eltern, die noch keine Visa für Amerika hatten, konnten zunächst nach Riga entkommen, wo sich ihre Spuren nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 verlieren.
Das Wort »Asche« im Titel des Albums bedarf da keiner Erklärung mehr. In Zeilen wie »My baby is in the sky/my baby is in the river« klingt Celans Todesfuge an. Und eine Zugfahrt ans Meer ist nicht einfach nur ein Ausflug in die Sommerfrische. Dennoch wehrt sich Clare Burson gegen die Charakterisierung ihrer Songs als musikalisches Schoa-Gedenken. »Ich wollte keine Holocaust-Geschichten erzählen«, sagt die Liedermacherin. »Mich hat interessiert, die emotionale und psychologische Reichweite meiner Familiengeschichte auszudrücken.«
Burson Suche nach ihren deutschen Wurzeln hatte ursprünglich damit begonnen, dass sie als Kind ihre Großmutter fragte, was es mit silbrig schimmernden Schwarz-Weiß-Fotografien auf sich hatte (daher das Silber im Albumtitel), die die Oma aus Deutschland gerettet hatte. »Die Bilder waren eine Art Fenster, durch das hindurch ich meine Großmutter besser verstehen konnte.« Doch die alte Dame wollte nicht darüber reden.
deutschlandreise Erst sehr viel später hat die Musikerin sich die Welt ihrer Großmutter und ihres Urgroßvaters Leopold Rabinowitsch, der in Leipzig ein Pelzgeschäft betrieb, mit eigenen Augen angeschaut. Mitte der 90er-Jahre lebte sie zwei Jahre lang in München, Frankfurt/Main und Berlin, arbeitete am Fritz-Bauer-Institut und am Haus der Wannsee-Konferenz. Sie lernte damals Deutsch – und sie lernte, zu differenzieren. Clare Bursons Haltung gegenüber Deutschland ist heute weder die ihrer Großmutter, die nichts mehr mit dem Land ihrer Kindheit zu tun haben wollte, noch die ihres Großvaters mütterlicherseits, Erich Cohen. Dessen Familie lebte seit dem Mittelalter in Deutschland und er hatte trotz der Schoa »für sein Geburtsland nicht anderes als Liebe übrig«, wie die Enkelin staunt.
»In Deutschland zu leben, hat das Land für mich entmystifiziert«, fasst Clare Burson ihre Erfahrung zusammen. »Es ist heute weder das schaurig-düstere Land meiner Kindheit noch das romantische Alte-Welt-Märchenland aus den Tagen, als ich erwachsen wurde. Ich bin sehr berührt vom heutigen Deutschland, zumal von Berlin, wenngleich ich stets einen enormen Verlust fühle bei dem Gedanken, was alles hätte sein können.«
Clare Burson: »Silver and Ash«. Rounder Records 2010/JDub Records