Finale

Ayalas Welt

Meine ehemalige Sportlehrerin würde sich lachend auf die Schenkel schlagen beziehungsweise grölend auf der Matte wälzen, wenn sie wüsste, wie ich heutzutage meine Wochenenden verbringe – beim »Familiensport« in Turnhallen.

Als Jugendliche hasste ich kein Fach so sehr wie Sport. Ich konnte nie über den Kasten springen, ich stolperte und fiel vom Schwebebalken, und auch dem – immerhin geglückten – Felgaufschwung am Stufenbarren mangelte es an Eleganz. Kurz vor dem Abitur legte ich beim Bändertanz (zur Melodie von Sweet Dreams, dem Eurythmics-Evergreen von 1983, bei dem mir bis heute ein Schauer über den Rücken läuft) eine so miserable Performance hin, dass ich mit vier Punkten und einer Vier Minus noch gut bedient war.

In der jüdischen Turnerbewegung vor mehr als 100 Jahren kursierte die Vorstellung, die besondere Verbreitung von Neurasthenie unter Juden sei auf ihre Unsportlichkeit zurückzuführen. Da fühle ich mich zwar nicht angesprochen: Ich leide nicht an »Erschöpfung und Ermüdung, die entweder durch eine zu geringe Belastbarkeit durch äußere Reize und Anstrengungen oder auch durch zu geringe oder zu monotone Reize selbst verursacht sein kann«, so die Definition dieser Störung. Was mich vielmehr erschöpft, sind die Sportstunden mit meinem kleinen Sohn.

kletterparcours Jeden Samstag und Sonntag bin ich in den Hallen diverser Sportvereine mehr als 100 kreischenden Kleinkindern ausgesetzt, wenn ich zusammen mit anderen Eltern die einst verhassten Foltergeräte (Barren, Kästen und Matten) zu lustigen Kletterparcours zusammenbaue. Mein fast dreijähriges Bengelchen klettert mit Begeisterung über die Geräte und rast in einem Tempo durch die Halle, dass ich ihn nur hängender Zunge einholen kann.

Wäre er ein Jahrhundert früher geboren, hätte die jüdische Turnerbewegung ihn als Musterbeispiel des »Muskeljuden« präsentieren können, dem Gegenbild zum grüblerischen »Nervenjuden« der Galut. Also als Gegenbild zu seiner Mutter, die pausenlos um das Leben ihres Sohnes fürchtet, während der Kleine sich kopfüber von Sprungschanzen auf Schaummatratzen stürzt. Manchmal, wenn ich Gelegenheit habe, zu verschnaufen, beobachte ich das Kind und grüble über Genmutationen nach. Ein »Muskeljude« in unserer Familie – wie konnte das passieren?

Vielleicht sollte ich mich einfach nur freuen. Doch »nervenjüdisch«, wie ich nun einmal bin, mache ich mir schon Sorgen um die Zukunft. Schließlich habe ich dem Kleinen zu einem israelischen Pass verholfen. Nun hoffe ich, dass mein erster und einziger Sohn nie auf die Idee kommt, das Muskeljudentum, frei nach Max Nordau, zum zionistischen Ideal zu erheben und sich später zur israelischen Armee zu melden. Falls doch, werde ich mich zu ungeahnten sportlichen Leistungen aufschwingen und unsere Wohnungstür mit einem Stufenbarren verbarrikadieren!

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025

Mascha Kaléko

Großstadtdichterin mit sprühendem Witz

In den 20er-Jahren war Mascha Kaléko ein Star in Berlin. Die Nazis trieben sie ins Exil. Rund um ihren 50. Todestag erleben die Werke der jüdischen Dichterin eine Renaissance

von Christoph Arens  13.01.2025

Film

»Dude, wir sind Juden in einem Zug in Polen«

Bei den Oscar-Nominierungen darf man mit »A Real Pain« rechnen: Es handelt sich um eine Tragikomödie über das Erbe des Holocaust. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin laufen zur Höchstform auf

von Lisa Forster  13.01.2025

Sehen!

»Shikun«

In Amos Gitais neuem Film bebt der geschichtsträchtige Beton zwischen gestern und heute

von Jens Balkenborg  12.01.2025

Omanut Zwillenberg-Förderpreis

Elianna Renner erhält Auszeichnung für jüdische Kunst

Die Schweizerin wird für ihre intensive Auseinandersetzung mit Geschichte, Biografie und Politik geehrt

 12.01.2025