Finale

Ayalas Welt

Oft habe ich bedauert, keine Wohnung in Prenzlauer Berg geerbt zu haben. Meine Großeltern lebten zwar vor ihrer Auswanderung nach Palästina dort mit sieben Kindern in einer kleinen Bude, Metzer Straße, Ecke Schönhauser Allee. Jedoch zur Miete. Das Haus wurde außerdem im Zweiten Weltkrieg weggebombt. Schade. Sonst wäre ich jetzt – nach einem hoffentlich erfolgreichen Restitutionsverfahren – Eigentümerin einer Wohnung im hipsten Viertel Berlins. Die Immobilie wäre Gold wert.

alles bio Allerdings treffe ich in letzter Zeit auf Spielplätzen in meinem Viertel öfters Eltern, die ihren Wohnsitz aus der Yuppie-Hochburg »Prenzlberg«, wie der Neuberliner sagt, in den ehemaligen Westteil der Stadt verlegt haben. Fast alle Hinterhöfe seien dort mittlerweile abgeschlossen, klagen sie, die Kinder hätten keinen Platz mehr zum Spielen. Und anerkannt sei nur, wer im richtigen Bio-Supermarkt die richtigen Lebensmittel mit dem richtigen Siegel einkaufe.

Mir schienen diese Leute ein bisschen überempfindlich. Sollte es wirklich schwieriger sein, in Prenzlauer Berg zu wohnen, als die Kaschrut-Regeln einzuhalten? Doch nun hat ein frisch erschienenes Buch die Erzählungen der »Flüchtlinge« bestätigt. Der amerikanische Journalist Ralph Martin beschreibt in Papanoia, wie er als Vater dem Gesinnungsterror von Eltern zum Opfer fiel, die ihren Kindern nur salzlose, zuckerfreie und unbehandelte Bio-Lebensmittel erlauben. Dabei war der lebenslustige Amerikaner bei seinem Einzug begeistert gewesen von seiner perfekt renovierten Altbauwohnung. Doch dann wurde seine Tochter im Kindergarten geächtet, weil sie eine Barbie-Puppe mitgebracht hatte. Den nächsten Skandal gab es, als die Kleine zum Spielen bei Freunden eingeladen war und fragte, ob sie vielleicht fernsehen dürfte. Schließlich konnte der Journalist diese Menschen, die immer alles richtig machen, nicht mehr ertragen: Er floh mit seiner Familie nach Kreuzberg und schrieb sich seinen Frust von der Seele.

gruppendruck Der Arme, dachte ich mir! Was wäre bloß aus uns geworden, wenn wir die Wohnung der Großeltern geerbt hätten? Auch mein Mann und ich sind Menschen, die gerne ab und zu einen Hamburger essen, ihrem Kind einen Schoko-Muffin spendieren und sogar ein Auto besitzen. Binnen Wochen wären wir zu Geächteten geworden – Outcasts mitten in der Orthodoxie.

Womit wir bei den Juden wären. Auch die jüdischen Bildungseinrichtungen in Prenzlauer Berg scheinen mir strenger zu sein als im Westen. Ich möchte gar nicht daran denken, was hätte passieren können, wenn mein Sohn in der dortigen jüdischen Kita vom Weihnachtsfest bei den Schwiegereltern erzählt hätte. Wir würden uns wahrscheinlich wünschen, er hätte nur eine Barbie mitgebracht. Also schätzen wir uns glücklich, in einer relativ unangesagten Gegend im Berliner Westen zur Miete zu wohnen. Hier wird zum Glück niemand geächtet, nur weil er bei Rewe Würstchen kauft.

London

Autor Neil Gaiman weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im »New York Magazine« werfen mehrere Frauen dem britischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor entsprechende Taten vor. Nun äußert sich der 64-Jährige

 15.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  15.01.2025

TV-Tipp

Furchtlose Kunstliebhaber in der NS-Zeit

Während des Nationalsozialismus sollten »entartete« Kunstwerke beseitigt werden, aber einige Mutige setzten zur Rettung der Werke ihr Leben aufs Spiel. Eine 3sat-Dokumentation zeichnet einige Fälle nach

von Wolfgang Wittenburg  15.01.2025

Konzerte

Yasmin Levy in München und Zürich

Die israelisch-türkische Künstlerin aus einer sephardischen Familie singt auf Ladino, bzw. Judäo-Spanisch, einer fast vergessenen Sprache

von Imanuel Marcus  15.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025