Es wäre ein Wunder, wenn ein einziges Mal in Deutschland eine Synagoge gebaut würde, ohne dass sich Juden deswegen in die Haare kriegen. Immer findet sich einer, der schon im Vorfeld ankündigt, diese Synagoge niemals in seinem Leben zu betreten. Entweder ist das Gebäude zu groß oder aber der Rabbi zu orthodox, zu liberal, ohne astreinen jüdischen Stammbaum oder abgrundtief korrupt.
Dass solcher Knatsch sich nun auch in Ulm abspielt, wo ich meine Jugend verbracht habe, amüsiert mich. Ausgerechnet die sparsamen Schwaben haben sich auf einen Synagogenbau eingelassen, dessen Finanzierung nicht gesichert ist. Doch unter einem erfolgreichen Bürgermeister ist Ulm eine vergleichsweise reiche Stadt geworden – da kann man so ein Risiko schon mal eingehen, gell?
Finanzen Die Juden aber, anstatt über ihren zukünftigen Prachtbau zu frohlocken, überziehen sich gegenseitig mit Gehässigkeiten. Sogar dem Kommentator der wohlwollenden Südwest-Presse war es nach dem ersten Spatenstich bereits zu viel: »Die Juden selbst tun gut daran, ihre internen Zwistigkeiten, die sich nicht nur um offene Finanzierungsfragen ranken, in aller Offenheit auszutragen und nicht in kruden Briefwechseln mit Vorhaltungen unter der Gürtellinie«, schrieb der Kollege. Wer wollte ihm da widersprechen?
Mal unter uns: Hätte jemand von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs etwas anderes erwartet als Zank und Streit? Bisher hatten meine Eltern das Glück, dass die Synagoge weit weg war, nämlich in Stuttgart. So bekamen sie die Gemeinheiten aus der Landeshauptstadt nur gerüchteweise mit. Auch widerstand mein Vater, 75, Atheist und Kibbuznik der alten Generation, standhaft jedem Versuch des Ulmer Rabbiners, ihn in seine eigene Gemeinde einzuladen – obwohl der Rabbi, so behaupten böse Zungen, bedürftigen Juden angeblich eine Monatskarte geschenkt haben soll, um seinen Minjan vollzubekommen. Mein Vater hat nie versucht, dieses Gerücht auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Er findet, er habe beides nicht nötig – weder eine Karte noch den Minjan.
Tfillin Ich beobachte das aus der Ferne und bin sehr gespannt, wie das Synagogenprojekt sich entwickelt. So viel ich weiß, besteht die Ulmer Gemeinde größtenteils aus Zuwanderern, die nicht dafür bekannt sind, dass sie gewissenhaft Tfillin legen. Ganz anders ihr junger Rabbi, ein Israeli, der in Kfar Chabad aufwuchs und den dort bekannten Eifer nun auch in Ulm an den Tag legt.
Allerdings wird der Rabbiner allein mit den Gemeindemitgliedern und seinen eigenen Kindern die Synagoge nicht füllen können; 450 Plätze soll sie einmal haben. Daher empfehle ich den Ulmer Schwaben, schon jetzt die Jüdischen Kulturtage des Jahres 2012 vorzubereiten, am besten mit einer langen Nacht der Synagoge – in Berlin ein jahrelang erprobtes Rezept für volle Gotteshäuser. Für meinen Vater aber freue ich mich, dass ihm endlich auch in seiner eigenen Stadt eine Synagoge zur Verfügung stehen wird, in der er (aus Prinzip!) nicht betet.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Berlin.