Als in der Silvesternacht die Sektkorken knallten und wir auf das neue Jahr anstießen, war ich blendender Laune. Leider habe ich zu viel Aldi-Champagner in mich hineingeschüttet und erwachte am 1. Januar mit einem mörderischen Kater. Missmutig dachte ich an alle Silvesterfeste, die bis zu meinem Ableben vor mir liegen – was würden sie bringen, außer Besäufnissen und Kopfschmerzen? Insbesondere der Gedanke an den Jahreswechsel 2037/38 stimmte mich grantig. Denn leider gehöre ich zu der Generation, die erst mit 67 in Rente gehen darf. Und trotz der fürstlichen Honorare dieses Blattes und diverser öffentlich-rechtlicher Rundfunksender liegt meine Rentenerwartung, wenn ich den Mitteilungen der Versicherung Glauben schenken soll, bei 556,40 Euro – mehr werden mir meine Beiträge zur Künstlersozialkasse nicht einbringen. Zwar habe ich ein Kontenklärungsverfahren laufen, aber ich fürchte, auch die Anerkennung meiner umfangreichen Studien wird die Bezüge nicht über 600 Euro heben.
aussichten Und wer weiß, ob ich bis zu meinem 67. Lebensjahr überhaupt Arbeit haben werde? Der geschätzte Redakteur dieser Seite – möge Gott ihm ein langes Leben bis 120 bescheren – wird dann, falls er sich nicht in die Ewigen Jagdgründe verabschiedet hat, meinen Namen längst vergessen haben. An seiner Stelle wird ein junger, dynamischer Goi sitzen, der seine Magisterarbeit in Judaistik zum Thema »Antisemiten gestern, heute und morgen« mit Auszeichnung abgeschlossen hat. An meinem 55. Geburtstag wird der junge Mann mich wissen lassen, dass er meine Verdienste durchaus zu schätzen weiß, sein Blatt aber im Interesse des jüdischen Volkes nicht ständig die selben Themen bringen könne. Statt meiner wird er ein junges, aufstrebendes Talent anheuern, das sich über jüdisches Online-Dating und koscheren Sex verbreiten und noch weniger Beiträge zur Künstlersozialkasse entrichten wird als ich.
Doch warum sich jetzt schon meschugge machen?, fragte ich mich am 2. Januar, als der Kater verflogen war. Gehört es nicht zu meinen guten Vorsätzen, optimistisch in die Zukunft zu schauen? Und habe ich mir nicht geschworen, weniger zu meckern und mehr in der Bibel zu lesen – zum Beispiel im Buch Kohelet? »Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger. Was hat der Mensch Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Man gedenkt derer nicht, die früher gewesen sind, und derer, die hernach kommen; man wird auch ihrer nicht gedenken bei denen, die später noch sein werden.« Wohl wahr! Keiner wird sich 2037 an Texte erinnern, die eine alte Schrulle vor 26 Jahren verfasst hat. Was empfiehlt der Prediger Salomos da als Therapie? »So sah ich denn, dass nichts Bessres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach ihm geschehen wird?« Gut essen und trinken und das Leben genießen, rät der Prediger weiter. In diesem Sinne: L’Chaim – und ein frohes Neues Jahr!