Kino

Außenseiter unter sich

Es sind arme Verhältnisse, in denen Simon Larsson im Jahr 1939 am Rande von Göteborg aufwächst: Der Vater Erik (Stefan Gödicke) ist ein einfacher Handwerker, Simons Bett steht in der Küche, das Leben ist naturverbunden. Aber irgendwie ist Simon anders als seine Eltern: Er interessiert sich für Musik, ist ein Bücherwurm, und möchte unbedingt auf die beste Schule der Gegend gehen.

Dort lernt er den begabten Isak kennen, mit dem er sich bald anfreundet. Isaks Vater Ruben Lentov ist Buchhändler, reich – und Jude. Gerade noch rechtzeitig ist die Familie aus Berlin vor den Nazis nach Schweden geflüchtet. Doch jetzt bricht der Krieg aus, in Schweden haben die Nazis Anhänger, und es ist ungewiss, wie lange die Emigranten in dem Königreich noch sicher sein werden.

roman-adaption Simon erzählt eine emotionale, aber nicht unkomplizierte Geschichte, deren einzelne Fragmente reizvoll und oft überzeugend sind, sich aber nur schwer zu einem Ganzen fügen. Vieles daran ist auch der Tatsache geschuldet, dass es sich bei Lisa Ohlins Film, der jetzt ins deutsche Kino kommt, um die Adaption eines Romans handelt, Marianne Fredrikssons 1985 erschienenen und zum Weltbestseller avancierten Roman gleichen Namens.

Bill Skarsgård, jüngster Spross der schwedischen Schauspielerfamilie, spielt die Hauptfigur des älteren Simon (jung: Jonatan S. Wächter), Karl Linnertorp den Isak, der für Jahrzehnte zu seinem besten Freund wird (jung: Martin Eriksson). Jan Josef Liefers ist als dessen Vater, der Buchhändler Lentov zu sehen. Die gemischte Besetzung passt zu dieser doppelten Kulturclash-Geschichte, ist aber auch Folge wirtschaftlicher Zwänge: Simon kostete sechs Millionen Euro, nur mit einer skandinavisch-niederländisch-deutschen Koproduktion war das Geld aufzutreiben.

Der Film überzeugt unmittelbar, wenn er Kindheit und Jugend in Kriegszeiten zeigt. Viel Natur, ein Hauch von Abenteuer zwischen Ästen, Blättern, Wasser und Wolken, und das Erwachsenwerden zweier sensibler Menschen. Es bezaubert, wenn Simon über Isaks Familie Zugang zu den verborgenen Schätzen der Kultur erhält. Und es macht traurig, wie auf der anderen seite Simons Eltern Isaks Freundschaftsbemühen reserviert gegenübersteht. Sie sind keineswegs Antisemiten, im Gegenteil. Aber sie fühlen sich als Kleinbürger dem Sohn aus »guter Familie« sozial und kulturell (zu Recht) unterlegen.

klischees Komplizierter, verkünstelter und insofern weniger eingängig ist der zweite Teil des Films, der die Nachkriegszeit und Simons Reise zu den eigenen Wurzeln ins Zentrum stellt. Denn 1945 erfährt Simon, dass er adoptiert wurde und selbst jüdische Eltern hat. Das ist eine spannende Wendung, zugleich bedient es in unangenehmer Form eine Menge Kischees – denn es erklärt das »Anderssein« von Simon quasi genetisch: Ein Arbeiterjunge, der intellektuelle Interessen hat, für Musik schwärmt, kein Naturbursche ist und auch noch einen Juden zum besten Freund hat, der sich fremd und von seinen Eltern unverstanden fühlt und emotional zu Isaks Vater wie zu einem Ersatz hingezogen ist – der muss in diesem Film eben selbst Jude sein. Auch die Familie Lentov entspricht Stereotypen des Jüdischen: ungewöhnlich reich, ungewöhnlich gebildet, ungewöhnlich liberal und kunstsinnig.

Visuell hat Simon viele Reize: Die schwedische Landschaft ist atemberaubend schön und originell, die Schauspieler sind durchweg sehr gut, die Inszenierung arbeitet mit einer Bildsprache aus Überblendungen und dynamischer Kamera. Ein großer ästhetischer Schwachpunkt dagegen ist die Filmmusik der Deutschen Annette Focks. Ähnlich wie in Krabat und John Rabe rührt sie auch hier eine ebenso aseptische wie austauschbare Gefühlskitschsoße zusammen. An deren enervierender Verwendung hat natürlich auch die Regisseurin mit Schuld: Durchgängig wird der Film mit Klangflokati ausgelegt, als ob Ohlin ihrer eigenen Inszenierung nicht traut und die Emotionen der Zuschauer mit sanfter Gewalt in die richtigen Kanäle lenken will.

Insgesamt ist Simon aber ein ansehnliches Kinostück. Lisa Ohlin fühlt sich dem Stoff auch deshalb sehr verbunden, weil die Familie ihrer Mutter selbst 1939 aus Berlin floh. »Meine Mutter hatte Schuldgefühle, weil sie überlebt hat«, sagt die heute 52-Jährige, »aber in der Familie sprachen wir darüber nie.«

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