Geschichte

Außenseiter in Amt und Würden

Heute vor 125 Jahren wurde der legendäre Historiker Ernst Kantorowicz geboren. Eine Erinnerung

von Christiane Laudage  03.05.2020 08:49 Uhr

War immer auch ein Dandy: Ernst Kantorowicz Foto: PR

Heute vor 125 Jahren wurde der legendäre Historiker Ernst Kantorowicz geboren. Eine Erinnerung

von Christiane Laudage  03.05.2020 08:49 Uhr

Ernst Kantorowicz ist es gelungen, nicht nur einen, sondern gleich zwei Klassiker der Geschichtsschreibung zu verfassen: vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland seine Biografie über den Stauferkaiser Friedrich II. (1194–1250) und nach dem Krieg in den USA »Die beiden Körper des Königs« (The King’s Two Bodies).

Sein Schicksal ist das eines jüdischen Intellektuellen, dessen akademische Karriere nach der »Machtergreifung« 1933 in Deutschland plötzlich zu Ende war. Ihm gelang die Flucht über Großbritannien in die USA, wo er nach harten Jahren eine neue akademische Heimat am Institute for Advanced Study in Princeton fand.

Geboren vor 125 Jahren, am 3. Mai 1895 in Posen (heute Poznan, Polen) als Sohn eines Spirituosenhändlers, wuchs Kantorowicz in komfortablen Umständen auf. Die Familie verstand sich als säkulare deutsche Juden.

Er machte die für seine Generation typischen Kriegserfahrungen im Ersten Weltkrieg. Entscheidend für sein Leben wurde die Aufnahme in den elitären, männerbündlerischen Stefan George-Kreis, der sich um den Dichter gebildet hatte. »Der Meister« und seine »Jünger« bildeten ein »Geheimes Deutschland«, das als Ausgangspunkt für eine Erneuerung Deutschlands dienen sollte. Unter dem Einfluss von George schrieb Kantorowicz 1927 sein frühes Meisterwerk über den Staufer Friedrich II. Mit diesem Buch begann seine Karriere als Historiker, obwohl er gar nicht Geschichte studiert hatte.

Das Werk war ein großer Erfolg. Nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine Neuauflage angesprochen, meinte er: »Man sollte halt ein Buch, das bei Himmler auf dem Nachttisch lag und das Göring an Mussolini mit Widmung verschenkte, in völlige Vergessenheit geraten lassen.« Das Buch geriet entgegen dem späten Wunsch seines Verfassers nicht in Vergessenheit; es ist immer noch erhältlich und zählt zu den Klassikern der Geschichtsschreibung.

Es lief alles gut für EKa, wie Kantorowicz genannt wurde. Seit 1932 hatte er eine Professur für Geschichte in Frankfurt, doch dann kamen die Nazis. Wegen seines Judentums war seine Karriere vorbei. Er ließ sich erst beurlauben, dann pensionieren, um 1938 über einen Forschungsaufenthalt in Oxford in die USA zu flüchten.

Dort fand er an der University of California in Berkeley eine neue wissenschaftliche Heimat. Doch als es Ende der 1940er-Jahre in der McCarthy-Ära zur Kommunistenverfolgung kam, sollten die Professoren in Berkeley in vorauseilendem Gehorsam einen Loyalitätseid, den sogenannten Antikommunisteneid, ablegen. Doch EKa verweigerte sich.

In einem Brief an den Universitätspräsidenten schrieb er: »Meine politische Vergangenheit hält jeder Untersuchung stand. Ich bin zweimal als Freiwilliger angetreten, um aktiv mit dem Gewehr gegen Linksradikale in Deutschland zu kämpfen, aber ich weiß auch, dass ich durch mein Zusammengehen mit den weißen Bataillonen - indirekt und gegen meine Absicht - dem Nationalsozialismus den Weg und den Zugang zur Macht geebnet habe.«

1951 wechselte er an das Institute of Advanced Study in Princeton, einer Forschungseinrichtung, wo er ein irdisches Paradies vorfand: ein festes Einkommen, wenige Lehrveranstaltungen, hochrangige Kollegen aus verschiedenen Disziplinen.

In dieser so angenehmen Atmosphäre vollendete er das Buch, das ihm neben der Biografie des Staufers Friedrich II. einen ewigen Platz im Pantheon der Geschichtswissenschaft eingebracht hat: »The King’s Two Bodies« (Die beiden Körper des Königs, 1957).

»Der König ist tot, es lebe der König« - ausgehend davon entwickelte EKa eine politische Theologie des Mittelalters, die ebenso anregend wie schwierig zu lesen ist, wie seinerzeit die Rezensenten einräumten.

1991, bald 30 Jahre nach dem Tod des Wissenschaftlers, erschien es erstmals auf Deutsch. Der Historiker Horst Fuhrmann beschrieb es damals in einem langen Artikel für die Wochenzeitung »Die Zeit« als »Heimholung des Ernst Kantorowicz« und würdigte dessen Bücher und Biografie als »Dokumente deutscher Geschichte«. Kantorowicz starb am 9. September 1963 in Princeton, New Jersey.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025