Frankfurt am Main 1958: Der frisch bestallte Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling), als Neuling zuständig für Verkehrsdelikte, wird Zeuge, als der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) im Gerichtsgebäude seinen Vorgesetzten, Oberstaatsanwalt Friedberg (Robert Hunger-Bühler), öffentlich angeht: Ein jüdischer Freund Gnielkas, der Maler und Auschwitz-Überlebende Simon Kirsch (Johannes Krisch) hat zufällig einen SS-Wärter aus dem Vernichtungslager wiedererkannt, der inzwischen unbehelligt als Lehrer an einer Schule der Mainstadt arbeitet.
Doch die Staatsanwaltschaft weigert sich, Kirschs Strafanzeige überhaupt anzunehmen. Damit beginnt Giulio Ricciarellis auf Tatsachen beruhender Spielfilm Im Labyrinth des Schweigens über die Vorgeschichte des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963.
Radmann, der Held des Films, der diese Woche im Kino anläuft, hat von Auschwitz bis dahin noch nie gehört. Mehr aus Neugier denn aus politischem Engagement klemmt er sich hinter die Geschichte, gegen explizite Weisungen seines Vorgesetzten. Dass er deswegen nicht dienstrechtlich belangt, sondern, im Gegenteil, sogar offiziell mit dem Fall betraut wird, verdankt der junge Jurist der Intervention des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (Gert Voss). Der Sozialdemokrat, Jude und zurückgekehrte Emigrant versucht schon lange, gegen mächtige Widerstände in Justiz, Politik und Gesellschaft, Nazitäter rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Fritz Bauer Ein schwieriges Unterfangen, wie Radmann rasch merkt. Gerichtsverwertbare Beweise liegen kaum vor. Die Kriminalpolizei, durchsetzt von alten Nazis, unterstützt ihn nicht nur nicht, sondern sabotiert die Ermittlungen, wo sie nur kann. Die Kollegen von der Staatsanwaltschaft mobben ihn. Aber Radmann lässt nicht locker. Mithilfe der Gerichtssekretärin Erika Schmitt (Hansi Jochmann) und seines Kollegen Otto Haller (Johann von Bülow) arbeitet er sich durch Zehntausende NS-Akten aus dem Bestand des amerikanischen Document Center, befragt Hunderte traumatisierter Zeugen, macht Täter ausfindig.
Peu à peu erschließt sich eine verleugnete, verschwiegene Geschichte deutscher Verbrechen. Der Film endet mit der Eröffnung des Auschwitz-Prozesses am 20. Dezember 1963 im Frankfurter Römer. Die Gerechtigkeit kann jetzt ihren Lauf nehmen. Oder auch nicht.
Regisseur Giulio Ricciarelli, Jahrgang 1965, der zusammen mit Elisabeth Bartel auch das Drehbuch geschrieben hat, gelingt es in seinem nach realen Ereignissen gedrehten ersten Spielfilm, die Atmosphäre der Bundesrepublik der späten 50er- und frühen 60er-Jahre beklemmend perfekt nachzuzeichnen: Ein Land, das dank des Wirtschaftswunders und der Fußballweltmeisterschaft in Bern 1956 in einer »Wir sind wieder wer«-Mentalität angekommen ist, wo Täter, Mitläufer und Apologeten komplizenhaft »die alten Geschichten« mit einer mafiösen Omertà belegt haben und jeden ächten, der dagegen verstößt; wo der KZ-Arzt Josef Mengele bei Besuchen in seinem schwäbischen Heimatort Günzburg von den örtlichen Honoratioren geschützt wird und in Sozialbausiedlungen im Sommer aus offenen Fenstern das Horst-Wessel-Lied ertönt. Ja, so war die Bundesrepublik jener Zeit – jeder, der sie miterlebt hat, wird es bestätigen.
Human Interest All das ist eigentlich schon dramatisch genug. Doch Ricciarelli versucht, seinem Film noch eine Human-Interest-Dimension zu geben, indem er parallel zum eigentlichen Plot seinen Helden eine Liebesgeschichte mit der jungen Schneiderin Marlene Wondrak (Friederike Becht) erleben lässt. Das wirkt aufgesetzt, zumal dieser Strang deutlich nicht die filmische und erzählerische Qualität der Haupthandlung erreicht. Schwach ist Radmann-Darsteller Alexander Fehling auch, wenn er versucht, die psychische Krise, in die seine Figur gerät, glaubhaft zu spielen; das hat leider eher »Lindenstraße«-Niveau. Vollends ins Kitschige gleitet der Film schließlich gegen Ende ab, als Radmann und Gnielka nach Auschwitz fahren und dort auf Bitten Simon Hirschs das Kaddisch für dessen im Lager ermordete Kinder sprechen.
Dennoch lohnt dieser Film, auch für diejenigen, die mit dem Auschwitz-Prozess und seiner Vorgeschichte aus anderen Quellen vertraut sind. Vor allem die jüngere deutsch-jüdische Generation kann hier nachvollziehen und -fühlen, in welch widerlicher Atmosphäre ihre Eltern und Großeltern in der Nachkriegsbundesrepublik leben mussten.
»Im Labyrinth des Schweigens«. Von Giulio Ricciarelli, mit Alexander Fehling, Gert Voss, Friederike Becht u.a., 123 min., Kinostart: 6. November