Konversion

Aus freier Entscheidung

»An der Konversionsproblematik scheiden sich in der jüdischen Welt die Geister.« Foto: Wallstein

Konversion

Aus freier Entscheidung

Barbara Steiner geht der Frage nach, warum Deutsche nach der Schoa Juden werden wollen

von Ludger Heid  12.01.2016 09:55 Uhr

Übertritte zum Judentum haben in Deutschland nach dem Holocaust gewissermaßen Konjunktur. Mit diesem bislang wissenschaftlich nur spärlich aufgearbeiteten Phänomen beschäftigt sich Barbara Steiner in einer aufschlussreichen Untersuchung. Sie stützt sich dabei auf biografisch-narrative Interviews mit übergetretenen Juden.

Darüber hinaus befragte sie Rabbiner, die Aufnahmen ins Judentum vornehmen, und schöpfte aus den Quellen des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland. Steiner bezeichnet es für ihre Studie als »hilfreich«, dass sie selbst zum Judentum übergetreten ist.

Steiner zeigt Beispiele, wie Übertrittswillige danach streben, eine neue, vermeintlich moralisch stärkere jüdische Identität anzunehmen, was nicht selten im Kontext der Schoa steht. Demzufolge, vermutet Steiner, handelt es sich im Einzelfall darum, narzisstischen Gewinn aus einer Inszenierung zu ziehen, und urteilt: »Dabei waren sie keine einfachen Schwindler, sondern bis zur persönlichen Selbsttäuschung mit Juden und dem Judentum überidentifizierte Narzissten.« Der Wunsch nach moralischer und persönlicher Wiedergutmachung, Schuldabwehr und einem Ausstieg aus dem historisch belasteten Kontext waren seit den 50er-Jahren konversionsfördernde Motive.

Hürden An der Konversionsproblematik scheiden sich in der jüdischen Welt die Geister. Das Judentum versteht sich als eine exklusive Religion, die nicht missioniert und keine Konvertiten sucht. Die Hürden der Aufnahmekriterien sind hoch. Doch wenn das Tauchbad erfolgt und die Akte geschlossen ist, hat am Judesein, wie es Rabbiner Ernst Stein einmal ausdrückte, »keiner mehr dran rumzufummeln«.

Bei Lichte betrachtet sind Konversionen ein Widerspruch in sich: Man kann nur religiös ins Judentum eintreten, indem man sich dem Joch der 613 Ge- und Verbote unterwirft; indes ist Religion nicht das einzige Identitätsmerkmal des Judentums. Familientradition und Schicksalsgemeinschaft können Übertrittswillige nicht vorweisen. Die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft, die mitbestimmt ist durch die jüdische Leidensgeschichte, die Erfahrung des Antisemitismus, Witz und Humor, eine bestimmte Weltsicht, muss von Wahljuden anderweitig wettgemacht werden. Von Männern wird die Beschneidung verlangt – ein irreversibles körperliches Bekenntnis.

Akzeptanz Alle befragten Konvertiten haben mit einem Akzeptanzproblem zu tun. Die Folge: Die Übergetretenen finden sich am Rande der jüdischen Gemeinschaft, wo sie mitunter eine eigene Subkultur bilden. Orthodoxe Rabbiner erkennen Übertritte des liberalen und konservativen Judentums unter Berufung auf eine normative Halacha nicht an. Konvertiten stehen ständig unter Beobachtung. Sie stehen unter Verdacht, es mit dem Übertritt nicht ernst genug zu meinen, das Judentum zu verwässern oder als »Renegaten« übereifrig zu sein und mit übertriebener Pflichterfüllung die autochthonen Gemeindemitglieder auf die Palme zu bringen.

Allen Vorbehalten zum Trotz haben es einige Konvertiten weit gebracht – als geistliche Repräsentanten etwa der Chabad-Rabbiner Yitzchak Mendel Wagner, der orthodoxe Rabbiner Aharon Shear-Yashuv, die liberale Rabbinerin Gesa Ederberg, der liberale Rabbiner Walter Homolka oder Paul Moses Strasko, der zuletzt als Gemeinderabbiner in Duisburg-Mülheim-Oberhausen tätig war. Die Gemeinden in Deutschland haben vom Engagement der Konvertiten profitiert. Sie sind im Zentralrat, in den Rabbinerkonferenzen und Gemeindevorständen vertreten, sie sind Gabbaim, Kantoren und Lehrer an jüdischen Schulen, sie sichern einen wichtigen Teil der religiösen Infrastruktur. Sie alle erheben den Anspruch auf einen gleichberechtigten Platz in einer pluralistischen deutsch-jüdischen Gesellschaft und bestehen auf dem Recht, als Juden für Juden in Deutschland zu sprechen.

Grenzgänger Das gilt auch für den deutschen Konvertiten Tom Franz, der als Erneuerer koscherer Kochkunst in Israel gefeiert wird und als religiöser Jude zu einem Vorbild für eine neue Art von Judentum geworden ist – trendig, modern, ansprechend.

Auschwitz hat bei einigen Deutschen den Wunsch evoziert, auf die Opferseite zu wechseln, auf die (vermeintlich) moralische Seite. Die Annahme der jüdischen Religion gilt bei einigen als »Entrebillet« in das jüdische Volk – Heines berühmter Satz ins Gegenteil verkehrt. In der Ära Freuds waren manche psychologischen Beobachter davon überzeugt, dass viele Konvertiten »manifest krank« seien, dass ihre Konversion das »Hauptsymptom ihrer mentalen Instabilität« sei. So weit geht Barbara Steiner nicht, auch wenn sie die von einigen Konvertiten vorgebrachte Erklärung, dass die religiöse Konversion auf der Grundlage einer theologischen Entscheidung zugunsten des Judentums erfolgt sei, nicht glaubt.

Konvertierte Juden sind Grenzgänger, deren Status ihre Nachkommen unter Umständen wieder zu Nichtjuden machen kann. Sie sind ausgestattet mit einem Status, der die nichtjüdische Herkunft betont und nicht, wie erhofft, negiert. So gelangt Steiner zu dem Schluss, dass Konvertiten in Deutschland ein »Verfallsdatum« besitzen. Gleichwohl ist sie davon überzeugt, dass Konvertiten in Zukunft die deutsch-jüdischen Gemeinden religiös prägen werden. Nicht, weil es von ihnen erwartet wird, sondern weil sie es wollen.

Barbara Steiner: »Die Inszenierung des Jüdischen. Konversionen von Deutschen zum Judentum nach 1945«. Wallstein, Göttingen 2015, 352 S., 29,90 €

Eurovision Song Contest

CDU-Politiker: ESC-Boykott, wenn Israel nicht auftreten darf

Steffen Bilger fordert: Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden, müsse auch Deutschland fernbleiben. Er warnt vor wachsenden kulturellen Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat

 18.09.2025

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025