Kann man mit Eiweiß Bilder malen? Yair Kira nickt. »Auf eine besondere und irgendwie ziemlich spirituelle Art und Weise kann man das sogar sehr gut«, sagt er und deutet auf das Bild vor ihm an der Wand. Ein brauner, dunkler Klecks ist dort vor weißem Hintergrund auf einer Leinwand zu sehen. Wenn man ganz nah herangeht, sind in dem Klecks viele dünne Fasern zu erkennen.
»Eigentlich habe ich gar nicht viel gemacht«, sagt Kira. Mithilfe einer Essiglösung habe er Eiweiß aus einem frischen Ei extrahiert und dieses auf der Leinwand zerfließen lassen. Später habe er das Ganze dann fotografiert und mittels Digitaldruck reproduziert.
»Hidden Wish« hat der Künstler sein Bild genannt. Es ist Teil einer ganzen Serie von ähnlich gestalteten Eiweiß-Werken. »Eigentlich bin nicht ich, sondern das Ei und somit die Natur der wahre Künstler«, sagt Kira. Der 36-Jährige mit den lockigen schwarzen Haaren und der Hipsterbrille kommt aus Israel. Seine Familie hat deutsche und jemenitische Wurzeln.
design Seit sieben Jahren lebt der Künstler schon in Deutschland. Im vergangenen Jahr hat er seinen Bachelor im Fach Produktdesign an der Universität der Künste (UdK) in Berlin abgeschlossen. Seit einiger Zeit ist Kira Stipendiat des jüdischen Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks (ELES). Zusammen mit vier weiteren Stipendiaten von ELES stellt Kira seine Kunstwerke derzeit in den Geschäftsräumen des Studienwerks im Ernst-Ludwig-Ehrlich-Haus in Berlin-Moabit in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs aus. Der Titel der Ausstellung lautet »Transparent Bodies«.
»Im Zentrum der Werkschau steht die Frage nach den Darstellungsmöglichkeiten von Körper und Gegenstand im digitalisierten Informationszeitalter«, erklärt der Kurator der Ausstellung, Daniel Laufer, den Kerngedanken der Schau. Während der Titel der Ausstellung an den gläsernen Bürger denken lasse, gehe es den Künstlern darum, sich mit gängigen Vorstellungen von Körperlichkeit und Gegenständlichkeit auseinanderzusetzen.
»Die jungen Leute wollen eine eigene Definition ihres zeitgenössischen Verständnisses dieser Inhalte künstlerisch umsetzen«, sagt Laufer. Dazu bedienten sie sich unterschiedlichster künstlerischer Medien wie Malerei, Robotik, 3D-Druck, Objekt- und Performancekunst und – wie im Fall von Kira – Gegenständen aus der Natur. »Ich finde dieses künstlerische Laboratorium ungeheuer spannend«, sagt Laufer.
Seit 2016 fördert ELES unter dem Programmnamen DAGESH gezielt junge Künstler unterschiedlicher Disziplinen und Ausbildungsstipendien. Mit der Förderung von begabten jüdischen Studenten und Promovenden im Kunstbereich will die Stiftung ihren Beitrag zu einem traditionsbewussten, pluralistischen und selbstbewussten Judentum leisten.
»Die von uns geförderten Kunstschaffenden bieten darüber hinaus einen kreativen Umgang mit heutigen gesellschaftlichen und kulturpolitischen Herausforderungen«, sagt Eva Lezzi, Projektleiterin von DAGESH. Das Studienwerk habe es sich mit dem Förderprogramm zur Aufgabe gemacht, zeitgenössische jüdische Kunst sichtbar zu machen. »Ohne dabei vorweg die Frage zu beantworten, ob es spezielle Ausdrucksformen jüdischer Ästhetik im 21. Jahrhundert überhaupt gibt«, sagt Lezzi.
Alina Nosow findet den Ansatz des DAGESH-Programms gut. Die 31-Jährige hat Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe studiert. Sechs Jahre lang wurde die gebürtige Ukrainerin vom Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk gefördert. Gemeinsam mit anderen kunstinteressierten Stipendiaten hat sie die Ausstellungsreihe »Transparent Bodies« ins Leben gerufen, die unter diesem Titel erstmals im vergangenen Jahr in einer Galerie in Hamburg stattgefunden hatte.
Erfahrungen »Als junge Kunstschaffende wollen wir unsere eigenen Ideen voranbringen und unsere Form der Kunst den Menschen näherbringen«, sagt Nosow, die mit zweien ihrer Werke in der aktuellen Ausstellung vertreten ist. Eines davon ist das Ölgemälde »27 Jahre später«, auf dem eine ältere Frau mit zwei Mädchen in einem düster gestalteten Wohnzimmer zu sehen ist. »In meinen Bildern behandele ich die Abgründe der menschlichen Existenz«, sagt Nosow. In ihren Werken, die von einer Mischung aus Figuration und Abstraktion leben, verarbeite sie immer auch persönliche Erfahrungen, sagt Nosow.
Ebenfalls abstrakt sind die Werke von Liat Grayver. Die 32-jährige Israelin ist 2009 nach Deutschland gekommen. 2015 hat sie den Diplomstudiengang der Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgeschlossen. Seit 2016 arbeitet Grayver gemeinsam mit der Universität Konstanz am Projekt e-David. Dabei untersucht sie verschiedene Ansätze zur Integration von robotischen und computerbasierten Sprachen während des Malprozesses.
Grayver ist seit 2013 Stipendiatin bei ELES. »Meine Arbeit untersucht die Möglichkeiten, wie Körper und Geist nicht nur die visuellen Objekte selbst, sondern auch ihre jeweiligen Entstehungsprozesse wahrnehmen können«, sagt Grayver.
Korallen Für die Ausstellung im ELES-Haus hat die Künstlerin eine Serie von Zeichnungen mitgebracht, die sich mit der organischen Form von Meereskorallen beschäftigen. »Diese Werke sind ganz ohne die Hilfe von Computern entstanden«, sagt Grayver mit einem Schmunzeln. Zwar interessiere sie sich sehr für die Wirkung technischer Geräte auf den Schaffungsprozess von Malerei, das sei aber nicht ihr einziges Anliegen.
»Die Mischung ganz verschiedener Maltechniken ist für mich kein Widerspruch«, sagt die Künstlerin. Als Israelin und Jüdin gehe es ihr immer auch darum, in ihren Werken die Frage aufzuwerfen, was das speziell Jüdische an ihrer Kunst sei.
»Ich bin froh, dass mich ELES auf meinem Weg unterstützt«, sagt Grayver. Ohne die finanzielle und ideelle Förderung des Netzwerks hätte sie ihren Studienabschluss in Deutschland nicht geschafft, ist sie sicher. »Ich fände es schön, wenn wir durch unsere Arbeit als Künstlerinnen und Künstler auch andere junge Menschen dazu ermutigen könnten, kreativ zu sein«, sagt Grayver.