Dass das Thema, wie Sabena Donath unterstrich, »eindrücklich und relevant« ist, zeigte sich gleich zu Beginn der dreitägigen Konferenz »Spuren suchen«, die den Erfahrungen der »Dritten Generation« nach der Schoa nachspüren wollte.
»Zu Hause herrschte das große Schweigen«, erinnerte sich Zentralratspräsidiumsmitglied Vera Szackamer in ihrem Video-Grußwort am Montag vergangener Woche. Sie zählt sich zur Zweiten Generation. Ihre in Köln geborene Mutter hat zusammen mit ihrer Mutter Auschwitz überlebt, um danach nach Köln zurückzukehren, wo sie Szackamers Vater kennenlernte, der als Rotarmist nach Deutschland kam.
»Natürlich heiratete ich den Sohn zweier Schoa-Überlebender«, sagte Vera Szackamer, um zu demonstrieren, wie sehr sie das Thema ihr Leben lang begleitet. So handelte ihre Diplomarbeit von »Auswirkungen der Judenvernichtung auf die Zweite und Dritte Generation«. Ihre künftige Doktorarbeit werde sie der Vierten Generation widmen, kündigte die Paar- und Familientherapeutin an.
RELEVANZ Auch Sabena Donath, die als Direktorin der Bildungsabteilung zu der Tagung nach Frankfurt geladen hatte, betonte die Relevanz der Schoa für die jüdische Gemeinschaft. Während Verfolgte und Überlebende in der Forschung zur Ersten Generation zählten, umfassten die Zweite und Dritte Generation ihre Kinder und Enkel, erläuterte sie. »Die Dritte Generation wird die letzte persönliche Verbindung in ihrer Familie zu Schoa-Überlebenden sein«, sagte Donath.
Sabena Donath wies auf gesteigerte Erwartungen der Überlebenden an ihre Kinder und Enkel hin.
Sie machte auf die innerhalb der jüdischen Gemeinschaft je nach Herkunft unterschiedlichen Blicke auf die Schoa aufmerksam. Donath wies außerdem auf gesteigerte Erwartungen der Überlebenden an ihre Kinder und Enkel hin. Die Konferenz werde literarische, filmische und künstlerische Zugänge zum Thema präsentieren. Es gehe darum, einen Raum zu schaffen, der innerjüdische Erfahrungen so plural wie möglich abbildet.
Einen wissenschaftlichen Einblick in die Tagungsthematik gewährte Julia Bernstein, Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences. Auf der Grundlage zahlreicher Interviews zeigte sie unterschiedliche Facetten der Schoa-Rezeption in der Dritten Generation auf. So berichtete sie, dass die Überlebenden teils nicht mit der Zweiten Generation gesprochen hätten, sehr wohl aber der Dritten Generation gegenüber ihre Erfahrungen schilderten.
RESPEKT Die verbreitete Benennung von Enkelkindern nach (überlebenden) Großeltern schaffe »Aufträge«, so Bernstein. Umgekehrt zeige die Dritte Generation oftmals Respekt vor den Großeltern. »Es gibt Menschen, die nicht von Überlebenden, sondern von ›Helden der Schoa‹ sprechen«, sagte Julia Bernstein. Bei der Dritten Generation sei überdies eine Tendenz zum Rückzug in die jüdische »Bubble« und zur Abkopplung von der deutschen Gesellschaft zu beobachten.
Werke mehrerer Schriftstellerinnen der Dritten Generation dienten Luisa Banki als Referenzen.
Auf dem Programm der Tagung standen weitere Vorträge und Podiumsdiskussionen, unter anderem zu postsowjetischen Perspektiven sowie zu Dokumentarfilmen und der Literatur der Dritten Generation. »Diese Literatur erzählt Vergangenheit ausdrücklich aus einer nachgeborenen Perspektive«, konstatierte die Wuppertaler Literaturwissenschaftlerin Luisa Banki.
Sie verschränke »erinnerte Erfahrung und Erfahrung von Erinnerung«. Werke von Vanessa F. Fogel, Mirna Funk, Olga Grjasnowa und Katja Petrowskaja dienten ihr als Referenzen. Die Literatur der Dritten Generation sei ein »integraler Bestandteil des generationalen Erinnerns«, resümierte Luisa Banki.