Judentum und Migration sind eng verwoben. Im Laufe der Zeit haben Juden sich in vielen Teilen der Welt niedergelassen. Immer wieder wurden sie verfolgt, mussten oder wollten umziehen und sich in anderen Ländern eine neue Heimat aufbauen. Im Jahr 2021 leben Jüdinnen und Juden nachweislich mindestens 1700 Jahre auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Das Online-Migrationsmuseum »Lebenswege« der Landesregierung Rheinland-Pfalz widmet dem jüdischen Leben im Land dazu nun eine Sonderausstellung.
Die Schau will verschiedene Facetten jüdischen Lebens vorstellen. Zum einen gibt sie einen historischen Überblick zur jahrhundertelangen Geschichte von Juden im Land, beispielsweise zur römischen Zeit, dem Holocaust oder jüdischer Migration in den 1990er-Jahren nach Rheinland-Pfalz. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den mittelalterlichen jüdischen Gemeinden Mainz, Worms und Speyer, die als einflussreiches Zentrum jüdischen Lebens europaweit Architektur, Kultur, Religion und Rechtsprechung prägten.
Ein zweiter Themenbereich geht auf die Gegenwart ein. In Videoporträts berichten junge Frauen, was es für sie bedeutet, jüdisch zu sein, wie sie diesen Teil ihrer Identität leben und welche Herausforderungen dies im Alltag mit sich bringt.
Eine von ihnen ist Thaissja Bakal. Sie beschreibt sich selbst als gläubig, engagiert sich in der Jüdischen Gemeinde Trier, vor allem im Jugendzentrum. Judentum ist für sie »zum einen eine Religion, aber zum anderen auch eine Lebensweise« - und ihr Ankerpunkt im Leben, wie sie sagt.
»Jüdisch zu sein bedeutet für mich, dass ich immer weiß, dass meine Gemeinde hinter mir steht, dass meine Freunde hinter mir stehen werden - egal was passiert. Und dass uns einfach viel mehr verbindet als bestimmte Lebenswege«, sagt Bakal. Ansonsten lebe sie nicht streng orthodox, versuche aber, religiöse Vorschriften des Judentums in ihren Alltag zu integrieren - was in Deutschland oft nicht einfach sei.
Die Geschichte ihrer Familie ist auch eine Migrationsgeschichte, berichtet Bakal. Ihre Eltern kamen in den 1990er-Jahren von Moldawien nach Deutschland. Als Juden hätten sie in Moldawien einen »Sonderstatus im negativen Sinne« gehabt. Die Religion zu leben sei dort schwierig gewesen, auch jüdisch heiraten durften ihre Eltern nicht.
Während das Judentum für Bakal Identität stiftet, wirft es für Noomi Moyal Fragen auf. Ihr Vater ist Jude, ihre Mutter nicht. Für manche Juden gelte sie daher nicht als »richtige Jüdin«, berichtet Moyal, die an der Kunsthochschule Mainz studiert, im Video. Sie habe bei der Bat Mizwa ihrer kleinen Schwester, die damit rituell in die jüdische Gemeinde aufgenommen wurde, nicht aus der Thora lesen dürfen.
Diesem inneren Konflikt gibt Moyal in ihren Bildern Raum: Eines zeigt sie mit dem Tallit, dem Gebetsschal ihres Vaters, auf einem anderen sitzt sie im Dschungel, hinter ihr Karl Marx. Judentum sei für sie auch verbunden mit der Suche nach Identität, sagt sie.
Beide Frauen sehen sich als Jüdinnen in Deutschland in einer Sonderrolle, berichten von Klischees und Vorurteilen. Und von Antisemitismus - auch wenn beide es nicht direkt so nennen: »Wenn ich im Raum bin, muss man kein Hakenkreuz aus Bierdosen formen oder Judenwitze machen, wenn ich genau daneben stehe - unnötig«, sagt Bakal. Sie wünsche sich mehr Initiative von der Gesellschaft und vor allem von Schülern, mehr über das Judentum und jüdische Mitschüler zu erfahren. Sie selbst sucht den Dialog, stellt sich Fragen, informiert über das Judentum.
Ein dritter Schwerpunkt thematisiert den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und geht der Frage nach, wie es dazu kommen konnte. Zu Wort kommt unter anderen der jüdische Rapper Ben Salomo - mit deutlichen Aussagen: »Mein Opa hat diesem Land den Vertrauensvorschuss gegeben. Und dieser Vertrauensvorschuss ist bei mir verloren gegangen. Ich bin enttäuscht.« Es sei wunderbar, Synagogen zu bauen - aber das reiche nicht. Viele Menschen wüssten zu wenig über Juden und das Judentum. Das will die Schau ändern - und neugierig machen, mehr über den Alltag von Juden heute zu erfahren.