Genetik

Auf Stress gepolt

Gut behütet im Mutterleib? Kommt drauf an. Foto: Thinkstock

Genetik

Auf Stress gepolt

Wie Schwangere psychische Belastungen an ihre Föten vererben

von Ralf Balke  22.07.2013 18:07 Uhr

Nicht nur die Gene prägen uns, auch wir prägen unsere Gene. Oder anders ausgedrückt: Werdende Mütter und ihr Lebensstil haben Einfluss auf die spätere Gesundheit ihrer Kinder. Dass dazu auch der Stress gehören kann, dem Schwangere ausgesetzt sind, hat die Forschung schon länger vermutet. Neu dagegen ist die Erkenntnis, dass psychische Belastungen, die sich bereits vor der Empfängnis ereignen, sehr wahrscheinlich ebenfalls Auswirkungen haben können. Das jedenfalls lässt eine aktuelle Studie aus Israel vermuten.

Darin haben Forscher der Universität Haifa bei Ratten Veränderungen im CRF-1-Gen entdeckt, welches das körpereigene Stresskontrollsystem steuert. Diese Veränderungen konnten nicht nur in der Eizelle der Muttertiere nachgewiesen werden, sondern ebenfalls im Erbmaterial ihres Nachwuchses. »Die in vielerlei Hinsicht systemische Ähnlichkeit zwischen Menschen und Ratten wirft damit zahlreiche neue Fragen über die Auswirkungen von Stress auf die folgenden Generationen auf«, resümiert Professor Micah Leshem, der bereits zahlreiche Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt hat.

Premiere »Das ist gerade für uns in Israel von großer Bedeutung – wenn man an die psychischen Belastungen denkt, denen Schwangere hierzulande etwa während des zweiten Libanonkrieges im Jahr 2006 ausgesetzt waren oder durch die ständige Bedrohung aus Gaza noch ausgesetzt sind.« Bis dato konnte die Forschung bei den Nachkommen nur Verhaltensauffälligkeiten als mögliche Folgen bestätigen. »Der Nachweis auf genetischer Ebene dagegen ist eine Premiere«, sagt Leshem.

In seiner Versuchsreihe kamen zwei Gruppen von jeweils 45 Tage alten weiblichen Ratten zum Einsatz. Während die eine Gruppe über sieben Tage hinweg vielfältige kleinere Stresssituationen, wie etwa Temperaturschwankungen, bewältigen musste, blieb die tägliche Routine der anderen völlig unverändert. Anschließend wurden alle Ratten befruchtet und bekamen reichlich Nachwuchs. Sowohl in den Eizellen der gestressten Muttertiere als auch im Gehirn ihres Nachwuchses fanden sich deutliche Veränderungen des CRF-1-Gens. In der anderen Gruppe gab es diese Veränderungen nicht.

Ratten In einem weiteren Schritt setzten die Forscher die Sprösslinge beider Gruppen nun zahlreichen Belastungssituationen aus. Die anschließende Untersuchung ergab, dass in der Folgegeneration mehrere Faktoren für die Mutation des CFR-1-Gens ausschlaggebend sind.

»Wichtig ist zum einen das Geschlecht. Weibliche Ratten, die selbst mit Stress konfrontiert worden waren und deren Mütter ebenfalls eine entsprechende Vorgeschichte haben, zeigten deutlich häufiger die besagte Abwandlung des Gens als männliche«, fasst Leshems Forscherkollegin Inna Geisler-Salomon die Ergebnisse zusammen. »Damit konnten wir zum ersten Mal vererbbare genetische Reaktionen nachweisen, die eindeutig auf den Stress zurückzuführen sind, dem ihre Mütter bereits vor der Empfängnis ausgesetzt waren.«

Offensichtlich also können äußere Einflüsse Gene chemisch verändern und diese wie einen Lichtschalter an- oder ausknipsen. Die Ergebnisse des Forscherteams aus Haifa bestätigen auch die These, dass zwischen psychischen Belastungen in der Zeit der Schwangerschaft, dem Geschlecht des Nachwuchses sowie bestimmten Verhaltensauffälligkeiten in der Folgegeneration ein Zusammenhang besteht.

Krieg Bereits vor fünf Jahren waren Wissenschaftler der Fakultät für Psychiatrie und Umweltmedizin an der New York University dieser Frage auf den Grund gegangen, indem sie die Geburtsdaten von rund 88.000 Israelis aus den Jahren 1964 bis 1976 mit einer Datenbank verknüpften, in der psychiatrische Erkrankungen gespeichert waren. Dabei stellten sie fest, dass die Kinder von Frauen, die während des Sechstagekrieges im zweiten und dritten Monat schwanger waren, überdurchschnittlich oft an Schizophrenie oder anderen psychischen Krankheiten litten.

In konkreten Zahlen ausgedrückt heißt dies: Bei zehn von 486 Kindern, die in Israel im Januar 1968 geboren wurden, manifestierte sich in ihrem späteren Leben diese schwere psychische Störung. In den quantitativ ungefähr gleich großen Gruppen der in den Monaten zuvor und danach Geborenen gab es hingegen lediglich vier solcher Fälle.

»Die Datenanalyse zeigt, dass weibliche Nachkommen in ihrem späteren Leben ein bis zu vierfach höheres Schizophrenie-Risiko haben als Menschen, deren Mütter während der Schwangerschaft keiner solchen Stresssituation ausgesetzt waren«, erklärt Dolores Malaspina, die Leiterin des Forschungsprojekts. »Bei Männern sah dies anders aus. Ihr Risiko war nur um den Faktor 1,2 erhöht.«

Schwangere tragen offensichtlich weit mehr Verantwortung für ihr Neugeborenes, als gemeinhin bisher angenommen wurde. Das jedenfalls belegen die Ergebnisse der Stressforscher. Bedauerlicherweise haben die Mütter häufig keinen Einfluss auf die Situationen, von denen diese psychischen Belastungen ausgehen.

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025