Herr Brenner, fünf Jahre sind seit dem letzten runden Geburtstag des Lehrstuhls vergangen. Was hat sich seither getan?
Einiges. Und das trotz der Pandemie. Wir haben zwei neue Gastprofessuren einge-richtet, eine für Hebräische Literatur, die wir nach Amos Oz, unserem ersten Gastprofessor auf diesem Gebiet, benannt haben und die im jetzigen Semester der Schriftsteller Dror Mishani innehat. Außerdem kam eine neue Gastprofessur für arabisch-israelische Koexistenz dazu, die zuletzt mit einer ägyptischen Wissenschaftlerin besetzt worden ist. Vom nächsten Semester an können wir zudem die erste Gastprofessur der Münchner Brodt Foundation anbieten. Die wird Derek J. Penslar, Professor für Jüdische Geschichte an der Harvard-Universität, besetzen, einer der ganz Wichtigen auf diesem Gebiet.
Unsere Gegenwart zeigt sich sehr fordernd. Inwieweit ist es einem Lehrstuhl möglich, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren?
Natürlich ist es nicht vorrangige Aufgabe einer Universität, auf Tagesereignisse zu reagieren, sondern »tiefer zu gehen«. Trotzdem war es uns möglich – und da spreche ich im Namen des gesamten Historischen Seminars –, auf den Krieg in der Ukraine schnell zu reagieren. Wir haben vor allem jüngere Wissenschaftler von dort zu uns eingeladen, konnten sie mit Stipendien versorgen, und natürlich waren da auch welche darunter, die selbst jüdisch waren oder sich mit der Geschichte der Juden in ihrer Heimat befasst haben. Im Übrigen haben wir jetzt gerade auch mit einer Sonderausgabe unserer Zeitschrift auf die Proteste des vergangenen Jahres in Belarus reagiert. Darin geht es um Geschichte wie Gegenwart der belarussischen Juden. Man reagiert also schon auch auf die Tagespolitik, aber man holt weiter aus.
Bei der Gründung des Lehrstuhls gehörte es zu einem Ihrer Anliegen, die wegen des Nationalsozialismus aus dem deutschsprachigen Raum vertriebenen Wissenschaftler nach München einzuladen: Fritz Stern, Peter Gay, Walter Laqueur waren da. Die Zeitzeugen werden immer weniger …
Es ist tatsächlich für unseren Lehrstuhl immer etwas sehr Besonderes gewesen, Wis-senschaftler, die hatten gehen müssen, zu Vorträgen oder auch Gastprofessuren ein-zuladen. Und deswegen freut es uns umso mehr, dass Michael A. Meyer – 1937 in Berlin geboren, 1941 mit seinen Eltern in die USA geflohen – zu uns als Festredner zur 25-Jahr-Feier kommen wird! Aber er ist natürlich einer der Letzten. Es kommt eine Veränderung auf uns zu, auf die wir reagieren müssen. So planen wir beispielsweise, uns an einem Projekt des Leo-Baeck-Instituts zu beteiligen, das sich erstmals systematisch mit der deutsch-jüdischen Geschichte der Diaspora beschäftigt. Das Thema muss und wird bei uns präsent bleiben.
Wie sehr spielt die »Sicht von innen« am Lehrstuhl eine Rolle? Oder muss es im Grunde immer noch einfach darum gehen, eine Mehrheitsgesellschaft über jüdische Themen aufzuklären?
Diese Mehrheitsgesellschaft im »monoli-thischen« Sinne gibt es heute ja gar nicht mehr. Dafür ist sie viel zu divers. Und so ist es auch mit unseren Studierenden. Sie bringen ganz unterschiedliche Hintergründe mit. Und diese Vielfalt setzt sich eben auch bei unseren Lehrenden fort, die damit sowohl unterschiedliche Methoden als auch unterschiedliche Perspektiven anbieten. Uns ist es von Anfang an wichtig gewesen, regelmäßig Wissenschaftler aus den beiden großen Zentren der Jewish Studies kommen zu lassen: nämlich aus Israel und den USA. Der Blick über die deutschsprachige Historiografie hinaus ist einfach essenziell.
Lernende wie Lehrende betonen oft die gute Atmosphäre an Ihrem Lehrstuhl, der zudem auch einen regen Freundeskreis von über 250 Mitgliedern hinter sich weiß. Wie bekommt man so etwas hin?
Das freut mich zu hören. Ich glaube, das lässt sich nur erreichen, indem man eben dies zu einer Priorität macht. Dadurch, dass ich akademisch eher in den USA sozialisiert wurde, irritieren mich oft diese starken Hierarchien, die man bis heute im deutschen akademischen System finden kann. Natürlich sind Hierarchien nicht ganz wegzudenken, aber man kann versu-chen, einfach mehr auf Kollegialität und respektvollen Umgang zu setzen.
Mit dem Universitätsprofessor sprach Katrin Diehl.