Herr Ganz, mit dem Theaterprojekt »Felix’s Room« wird die Geschichte Ihres Urgroßvaters erzählt, eines Mainzer Geschäftsmannes und Kunstsammlers, der – wie auch seine Frau – 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Ist dessen Geschichte in Ihrer Familie kommuniziert worden?
Nein, überhaupt nicht. Was ich wusste, ist, dass mein Vater 1938 nach England entkommen ist. Zunächst ist er nach der Pogromnacht im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen. Er war 1920 geboren, war also 13 Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen. Ich denke, er hatte sicher eine glückliche Kindheit. Er konnte damals aber auch über die schönen Zeiten nicht reden.
In Ihrer Inszenierung geht es um die Geschichte Ihres Urgroßvaters …
Um seine Geschichte zu erfahren, habe ich irgendwann angefangen, an einem Faden zu ziehen, um sie Stück für Stück hervorzubringen. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, wie wohlhabend und gesellschaftlich bedeutend Felix Ganz gewesen ist. Plötzlich aber entdeckte ich, dass er im Vorstand von Karstadt saß und zusammen mit Hjalmar Schacht, dem späteren Reichswirtschaftsminister der Nazis, im Vorstand der Ludwig Ganz AG, die mit Orient-Teppichen und Textilien handelte.
Bei welcher Gelegenheit kam Ihnen die Idee, dass die Zeit des Felix Ganz im Mainzer Judenhaus unmittelbar vor der Deportation ein Theaterstoff sein könnte?
Nachdem ich immer weiter recherchiert hatte, entdeckte ich plötzlich, dass sich in diesem Raum seine ganze Geschichte erzählen lässt.
Was hat die Entdeckung dieses Teils der Familiengeschichte mit Ihnen emotional gemacht?
Das hat mich natürlich sehr berührt, aber es war auch eine Erleichterung, sie neu erzählen zu können. Dadurch kann man ihm sein ganzes Leben zurückgeben. Man denkt ja fast immer bei all denen, die ermordet wurden, an ihre letzte Reise. Egal, wer sie vorher waren, egal, was sie geschafft haben – man sagt immer nur: Der ist in Auschwitz ermordet worden. In diesem theatralen Raum, den wir schaffen, begegnet Felix Ganz noch einmal all den Menschen, die er geliebt hat, all den Orten, die er besucht hat. Die Teppiche spielen eine Rolle, die für ihn die ganze Welt waren.
»Felix’s Room« ist eine Zusammenarbeit von Berliner Ensemble und Komischer Oper. Neben dem Protagonisten (Veit Schubert) gibt es die Sängerinnen Alma Sadé, Julia Domke und den Sänger Johannes Dunz …
Ja, es gibt mehrere Lieder in der Aufführung. Eines wurde von der Komponistin Tonia Ko für die Kommode geschrieben, die aus dem Haushalt von Felix Ganz stammt und als Original-Requisit auf der Bühne sein wird. Alma Sadé singt eine Art Duett mit der Kommode. Ein anderes Lied hat Christoph Breidler komponiert, das sich mit Felix Ganzʼ Aufenthalten in Berlin beschäftigt. Dann gibt es ein Lied von Mendelssohn, einen Walzer von Oskar Strauß, wenn Felix mit seiner Frau im Zimmer zu tanzen anfängt. Und dann singt Julia Domke als Tochter von Felix Ganz, die auch ausgebildete klassische Sängerin war, ein Lied von Verdi.
Welches Publikum haben Sie vor Augen?
Nun, wir schaffen die Möglichkeit, ein neues Publikum anzusprechen, weil die Technologie es uns ermöglicht, die Welt zu erkunden, sie neu zu erschaffen und mit der Vergangenheit auf eine andere Art umzugehen. Damit können wir sicher jeden erreichen, der an Menschen und Geschichten in der Vergangenheit interessiert ist – erzählen wir etwa die Geschichte des Holocaust für heutige Generationen, bevor sie mit den letzten Zeitzeugen verschwindet, auf eine neue Weise. Die Art der Lebendigkeit dieser räumlichen Objekte macht es meiner Meinung nach für die Menschen viel einfacher, sich die zu erzählenden Geschichten vorzustellen.
Mit dem Regisseur und Autor sprach Gerhard Haase-Hindenberg.
»Felixʼs Room« ist am Berliner Ensemble täglich vom 28. Juni bis 9. Juli zu sehen.
INFORMATION
Der Architekt Matt Shaw und die Digitalingenieurin meriko borogove haben »Felix’s Room« in ihrem Londoner Kreativstudio Scan LAB Projects mit 3D-Scan- und Projektionstechnologie entwickelt. Die Digitalingeneurin war 22 Jahre für Apple tätig und dort in einem Kreativ-Team für die Entwicklung des iPhones mitverantwortlich. Für sie ist die ungewöhnliche Theaterform, in der die Zuschauer mittels holografischen Projektionen auf eine Erinnerungsreise mitgenommen werden, auch wegen seiner technischen Innovation interessant. »Ich bin mit Theater, Büchern und Geschichten aufgewachsen. Meine technologische Arbeit ist stark von diesem kreativen Hintergrund geprägt. Für mich ist der künstlerische Prozess immer ein Teil der Entwicklung von Technologie«, sagt sie. Die Möglichkeit, einen Raum wieder aufzubauen und ihn Adam Ganz zur Verfügung zu stellen, damit er die Geschichte seines Urgroßvaters erzählen kann, fühle sich für sie wie ein Geschenk an: »Wir können Adam seinen Urgroßvater zu all den Orten zurückbringen lassen, die ihm wichtig waren – von Konstantinopel bis nach Ägypten, wo unser Team von ScanLAB diese Orte real gescannt hat.« Die Digitalingenieurin betont: »Wenn wir über die Vergangenheit von Menschen sprechen und speziell die von Holocaust-Opfern, können wir mittels dieser Form ein sehr lebendiges Zeugnis ablegen.«