Stadtführer in Buchform haben etwas Altmodisches. Wie Stadtpläne. Wer anfängt, einen Stadtplan aufzufalten, zieht heutzutage sofort die Blicke auf sich. Stadtführer sind da ein wenig unspektakulärer. Sie liegen auf dem Nachttisch im Hotel oder lassen sich in aller Vorfreude noch schnell im Flugzeug studieren. Die Mehrheit indes googelt sich durch städtische Attraktionen. Was bedeutet, dass Stadtführer – wie so vieles aus vergangenen, umständlichen Tagen – einiges an Potenzial haben, wieder so richtig cool zu werden.
Genau darauf setzt der neue Stadtführer Tel Aviv Stadtgeschichten. Ein illustrierter City-Guide von Ira Ginzburg & Citykat Stories. Ira Ginzburg ist Illustratorin und Grafikdesignerin. Geboren in Moskau, hat sie 1990 Alija gemacht und ist heute für eine »Kreativagentur« tätig.
Leidenschaft Hinter Citykat verbirgt sich ein ganzes Team aus Menschen, die zwei Leidenschaften verbinden: die für gutes Design und die fürs Reisen. Beste Voraussetzungen also für einen attraktiven Guide. Der Erscheinungszeitpunkt – in Israel ist er bereits 2019 auf Englisch herausgekommen – ist auch nicht schlecht. Gefühlt drängelt gerade in jedem Zweiten von uns eine Stimme: »Ich will jetzt dahin!« »Dahin«, das ist natürlich Tel Aviv. Hungrige Augen können den Tel-Aviv-Stadtgeschichten also sicher sein.
Diese setzen ganz auf einen jungen, gerade in vielen Lebensbereichen verbreiteten Mindstyle-Lockton. Flott sind sie gleich beim »Du«. Ein Tel-Aviv-begeistertes Kollektiv, ein »Wir«, präsentiert uns coole Plätze. Wobei sich hinter den Stadtgeschichten nicht wirklich Geschichten, sondern ausformulierte Tipps in super gut gelauntem Ton verbergen. Und deswegen erscheint einem das »Wir« auch ein bisschen künstlich.
Oper Und bei der Bemerkung »Okay, Leute, wer von euch ist ein Opernfan? Wir auch nicht, aber Tel Aviv fährt darauf ab«, könnte man sich fast ein wenig angefasst vorkommen. Aber auch nur fast. Der City-Guide ist ewig jung, wie Tel Aviv ewig jung ist. Und da nimmt man nichts so schnell krumm.
Auf den Seiten ploppen »Profi-Tipps«, »Fun Facts« und Emoticons auf. Vor allem aber die sketchbookhaften Illustrationen machen Laune. Ja, Tel Aviv ist an fast jeder Ecke fotogen, und so ist es auch die illustre Damenmannschaft, die sehr selbstbewusst und mit allerlei bestückt Richtung Meer zieht, oder es sind die Matkot-Spieler, die ein geradezu dekoratives Wimmelbild abgeben. Und dabei hat es auch fast seinen Reiz, dass die Stadt, die neben den weißen Bauhausgebäuden einiges an Farbe zu bieten hat, uns hier ausschließlich in Schwarz-Weiß begegnet. Man bekommt so jedenfalls die Möglichkeit, »kreativ« zu werden, was Menschen anspricht, die sich die kindliche Freude am Kolorieren bewahrt haben.
Tipps Wunderbar sind die illustren Tipps zum Umgang mit dem Monit Sherut sowie zur Kaffeekultur. Die Stationen, die der Guide Seite für Seite abgeht, wirken ein wenig sprunghaft, und da wäre dann doch ein kleiner Stadtplan mit Koordinatenangaben ganz hilfreich. Ein wenig glücklich machen die Stadtgeschichten trotzdem.
Etwas, was gerade nicht zu unterschätzen ist. Wir können den Reiseführer Freunden schenken, die wir schon lange zu einem Trip nach Tel Aviv überreden wollten. Wir können ihn aufgeregten Jugendlichen vor ihrer ersten Reise nach Eretz Israel zustecken. Wir können ihn auch uns selbst gönnen und uns an unser erstes Mal erinnern. Und uns schon mal auf den ersten Besuch der Nach-Corona-Zeit freuen. Hoffentlich ganz bald.
Ira Ginzburg: »Tel Aviv Stadtgeschichten«. Ariella, Berlin 2021, 132 S., 18 €