Literatur

Auf eine Suppe in Stuttgart

Eine Erinnerung an den israelischen Schriftsteller Aharon Appelfeld sel. A.

von Anat Feinberg  23.01.2020 15:39 Uhr

Der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld Foto: imago/Leemage

Eine Erinnerung an den israelischen Schriftsteller Aharon Appelfeld sel. A.

von Anat Feinberg  23.01.2020 15:39 Uhr

Aharon saß neben dem Brot. Genauer gesagt: Aharon saß neben dem Brotkorb. Er nahm eine Scheibe Roggenbrot und legte sie auf den kleinen Teller vor sich.

Zwei Tage in Stuttgart. In der Staatsgalerie ging er an Schlemmer und Beuys vorbei. Weißt du, es gibt Deutsche, die sich gut benehmen, sagte er. Wir haben die jüdischen Gräber auf dem Hoppenlau-Friedhof aufgesucht, eine verschlafene Ecke mitten in der Stadt.

Gras Ein vorwitziges Eichhörnchen tollte im Gras. Aharon ging zwischen und um die Gräber herum, las die hebräischen Inschriften. Auch das Epitaph des verstorbenen Rabbiners Joseph Maier mit der merkwürdigen Amtsbezeichnung »Kirchenrat« las er laut. Im Westen ging die Sonne unter, blickte kurz, golden, zwischen den hohen Gebäuden hindurch. Uns entgegen kamen ein Mann und eine Frau in Blau. Beide ergraut. Aharon sagte: Sicherlich war er ... Nein, das kann kaum sein, sagte ich und fing an zu rechnen, zweitausendundsieben weniger ... aber Aharon interessierte sich nicht für Rechenübungen.

Wir fuhren zum Killesberg. Ich zeigte auf die prachtvolle Magnolie in Rosa-Weiß. Wie viele Juden lebten in Stuttgart vor dem Krieg, fragte er. Im großen Park zeigten sich die Knospen, es war kühl geworden.

Eine Weile standen wir vor dem Denkmal für die Stuttgarter Juden, die sich genau an dieser Stelle versammeln mussten, um deportiert zu werden. In der Zeit des Unheils, las Aharon laut, wiederholte die Wörter und sagte, man hätte es genau schreiben sollen. An dem Abend, nach der Lesung, signierte er seinen Roman. Die Schlange war lang. Kein einziges Exemplar blieb übrig. Eine ältere, zierliche Frau kam auf mich zu: Lebte er wirklich als Kind ganz allein in den Wäldern?

Hühnersuppe Ich servierte Hühnersuppe mit Gemüse. Auch bei uns zu Hause gab es die, manchmal sogar mittags und abends. Aharon erzählte, seine Mutter habe alle 20 Minuten nach ihm gerufen: Aharon, wo bist du? Natürlich wusste sie, dass er zu Hause war. Und fragte dennoch. Am Bahnhof waren wir viel zu früh. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, sagte eine Frau, die ihn erkannte.

Ich war bei Ihrer Lesung. Es war sehr eindrucksvoll. Aharon war überrascht. Er ist anderen Deutschen begegnet, damals. Wird der Zug pünktlich ankommen? Da kannst du sicher sein, Aron. Weißt du, wie man auf Deutsch sagt? Darauf kannst du Gift nehmen. Aharon schaute mich an: Juden würden so etwas nie sagen. In dem Moment verkündete die unsichtbare Stimme: Achtung, der Zug ...

Aharon war in Stuttgart. Er sah Juden. Die meisten sind nicht da. Die Magnolie hat er nicht gesehen. Aron, der Aharon ist, und eigentlich Erwin. Es ist ein guter Platz, sagte er, als ich meinte, er solle am Kopf des Tisches Platz nehmen. Ich sitze immer neben dem Brot.

Die Autorin ist Professorin für Hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

Saarbrücken

Moderne Galerie zeigt Illustrationen von Marc Chagall

Die Schau »Marc Chagall. Die heilige Schrift« ist bis zum 25. April 2025 zu sehen

 21.11.2024

Fußball

Neuer wackelt: Plötzliche Chance für Peretz im Bayern-Tor?

Manuel Neuer plagt »ein Stechen im Rippenbereich« und Sven Ulrteich fällt vorerst aus persönlichen Gründen aus

 21.11.2024

Gut besucht: die Konferenz in Berlin

Zionismus-Tagung

Vom Recht auf einen souveränen Staat

In Berlin diskutieren Referenten und Teilnehmer aus Deutschland und Israel verschiedene Aspekte

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024