Emanzipation, rechtliche Gleichstellung und die Anerkennung von Juden als Staatsbürger sind die zentralen »jüdischen Fragen« der Diplomatiegeschichte der vergangenen 200 Jahre. Dass diesen Fragen in jüngster Zeit nicht nur innerhalb des akademischen Fachbereichs »Jüdische Studien« wieder vermehrt Aufmerksamkeit zukommt, ist im Wesentlichen ein Verdienst des Leipziger Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur, das 1995 auf Grundlage eines Beschlusses des Sächsischen Landtags ins Leben gerufen und nach dem bekannten russisch-jüdischen Historiker Simon Dubnow (1860–
1941) benannt wurde.
Seit 1999 steht das Institut unter der Leitung des Historikers Dan Diner, der jüdische Geschichte nicht als eine reine Nischenhistorie begreift, sondern sie aus transnationaler sowie pluralistischer Perspektive zu beleuchten versucht und als Seismograf der allgemeinen historischen Entwicklungen verstanden wissen will.
wiener kongress In diesem Sinne ist auch die aktuelle Jahreskonferenz des Instituts konzipiert, die am 12. und 13. Juni unter dem Arbeitstitel »The ›Jewish Question‹ as an International Question – Modern Jewish Politics beyond the National State« stattfindet, zu Deutsch »Die ›jüdische Frage‹ als internationale Frage – moderne jüdische Politik jenseits des Nationalstaat«. 17 renommierte Experten aus den Vereinigten Staaten, Europa und Israel präsentieren zum Gegenstand der Diplomatie der Juden neue Forschungsergebnisse und
-ansätze, etwa bezüglich der Pariser Friedenskonferenz von 1919, der Minderheitendiplomatie in der Zwischenkriegszeit sowie der Frage der Flüchtlinge und Staatenlosen nach zwei verheerenden Weltkriegen.
Erstmalig auf dem diplomatischen Parkett wurden »jüdische Fragen« auf dem Wiener Kongress von 1814/15 im Hinblick auf den sich neu konstituierenden Deutschen Bund diskutiert. »Es wurde zu einer etablierten Praxis innerhalb des Konzerts der Mächte, neue Staaten nur dann anzuerkennen, wenn sie sich dem Prinzip der religiösen Freiheit und der Gleichberechtigung aller Einwohner verpflichteten«, sagt Markus Kirchhoff, Organisator der Jahreskonferenz: »Das war beispielsweise bei der Anerkennung Griechenlands 1830 der Fall – nebenbei machte dies auch die Juden zu gleichberechtigten Staatsbürgern, den ersten der Levante.«
minderheitenrechte Ein weiteres Beispiel für den Umgang mit den »jüdischen Fragen« wird in Leipzig Rumänien sein, dessen Anerkennung 1878 als souveräner Staat durch die Großmächte auf dem Berliner Kongress von der Gewährung gleicher Rechte für alle Staatsangehörigen abhängig gemacht wurde. Das geschah jedoch nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis, weil mithilfe juristischer Tricks der absoluten Mehrheit der Juden des Balkanlandes der Zugang zur Staatsangehörigkeit weiterhin verweigert blieb.
»Insbesondere in der Brechung als Frage der Diplomatie erweist sich das bedeutende transnationale Potenzial solcher jüdischen Fragen«, lautet Kirchhoffs Einschätzung. »Auf der Ebene der internationalen Politik betrafen sie die Anerkennung bestimmter zivilisatorischer oder humanitärer Konventionen und Werte, aber auch die Souveränität eines Staates und die Angemessenheit und Bereitschaft der Staatengemeinschaft, gegebenenfalls zur Durchsetzung bestimmter rechtlicher oder humanitärer Standards zu intervenieren.« Die Aktualität dieser internationalen Problemstellungen drängt sich einem förmlich auf.
völkerrecht Die Jahreskonferenz nimmt dabei zwei wesentliche Perspektiven ein: Zum einen will sie Einblicke in die jüdischen Initiativen hinsichtlich rechtlicher Gleichstellung und Akkulturation gewähren und die Reaktionen auf die Erfahrungen von Diskriminierungen und Verfolgung aufzeigen.
»Diese Initiativen galten benachteiligten, bedrängten oder verfolgten Judenheiten, trugen häufig aber auch universellen Charakter – Letzteres war zum Beispiel bei der Menschenrechtskonvention sowie der Genozidkonvention von 1948 der Fall«, so Kirchhoff. Zum anderen werden Formen, Grenzen und Möglichkeiten von humanitärer Intervention bei den Versuchen gezeigt, den Minderheiten- und Menschenrechten sowie dem Völkerrecht mehr Geltung zu verschaffen. »Die Jahreskonferenz versteht sich somit auch als Beitrag zur politischen Geschichte der Moderne«, resümiert der Tagungsorganisator.
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