Konferenz

Auf diplomatischem Parkett

Erstmals die »Judenfrage« auf der Agenda: Wiener Kongress 1814/15 Foto: dpa

Emanzipation, rechtliche Gleichstellung und die Anerkennung von Juden als Staatsbürger sind die zentralen »jüdischen Fragen« der Diplomatiegeschichte der vergangenen 200 Jahre. Dass diesen Fragen in jüngster Zeit nicht nur innerhalb des akademischen Fachbereichs »Jüdische Studien« wieder vermehrt Aufmerksamkeit zukommt, ist im Wesentlichen ein Verdienst des Leipziger Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur, das 1995 auf Grundlage eines Beschlusses des Sächsischen Landtags ins Leben gerufen und nach dem bekannten russisch-jüdischen Historiker Simon Dubnow (1860–
1941) benannt wurde.

Seit 1999 steht das Institut unter der Leitung des Historikers Dan Diner, der jüdische Geschichte nicht als eine reine Nischenhistorie begreift, sondern sie aus transnationaler sowie pluralistischer Perspektive zu beleuchten versucht und als Seismograf der allgemeinen historischen Entwicklungen verstanden wissen will.

wiener kongress In diesem Sinne ist auch die aktuelle Jahreskonferenz des Instituts konzipiert, die am 12. und 13. Juni unter dem Arbeitstitel »The ›Jewish Question‹ as an International Question – Modern Jewish Politics beyond the National State« stattfindet, zu Deutsch »Die ›jüdische Frage‹ als internationale Frage – moderne jüdische Politik jenseits des Nationalstaat«. 17 renommierte Experten aus den Vereinigten Staaten, Europa und Israel präsentieren zum Gegenstand der Diplomatie der Juden neue Forschungsergebnisse und
-ansätze, etwa bezüglich der Pariser Friedenskonferenz von 1919, der Minderheitendiplomatie in der Zwischenkriegszeit sowie der Frage der Flüchtlinge und Staatenlosen nach zwei verheerenden Weltkriegen.

Erstmalig auf dem diplomatischen Parkett wurden »jüdische Fragen« auf dem Wiener Kongress von 1814/15 im Hinblick auf den sich neu konstituierenden Deutschen Bund diskutiert. »Es wurde zu einer etablierten Praxis innerhalb des Konzerts der Mächte, neue Staaten nur dann anzuerkennen, wenn sie sich dem Prinzip der religiösen Freiheit und der Gleichberechtigung aller Einwohner verpflichteten«, sagt Markus Kirchhoff, Organisator der Jahreskonferenz: »Das war beispielsweise bei der Anerkennung Griechenlands 1830 der Fall – nebenbei machte dies auch die Juden zu gleichberechtigten Staatsbürgern, den ersten der Levante.«

minderheitenrechte Ein weiteres Beispiel für den Umgang mit den »jüdischen Fragen« wird in Leipzig Rumänien sein, dessen Anerkennung 1878 als souveräner Staat durch die Großmächte auf dem Berliner Kongress von der Gewährung gleicher Rechte für alle Staatsangehörigen abhängig gemacht wurde. Das geschah jedoch nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis, weil mithilfe juristischer Tricks der absoluten Mehrheit der Juden des Balkanlandes der Zugang zur Staatsangehörigkeit weiterhin verweigert blieb.

»Insbesondere in der Brechung als Frage der Diplomatie erweist sich das bedeutende transnationale Potenzial solcher jüdischen Fragen«, lautet Kirchhoffs Einschätzung. »Auf der Ebene der internationalen Politik betrafen sie die Anerkennung bestimmter zivilisatorischer oder humanitärer Konventionen und Werte, aber auch die Souveränität eines Staates und die Angemessenheit und Bereitschaft der Staatengemeinschaft, gegebenenfalls zur Durchsetzung bestimmter rechtlicher oder humanitärer Standards zu intervenieren.« Die Aktualität dieser internationalen Problemstellungen drängt sich einem förmlich auf.

völkerrecht Die Jahreskonferenz nimmt dabei zwei wesentliche Perspektiven ein: Zum einen will sie Einblicke in die jüdischen Initiativen hinsichtlich rechtlicher Gleichstellung und Akkulturation gewähren und die Reaktionen auf die Erfahrungen von Diskriminierungen und Verfolgung aufzeigen.

»Diese Initiativen galten benachteiligten, bedrängten oder verfolgten Judenheiten, trugen häufig aber auch universellen Charakter – Letzteres war zum Beispiel bei der Menschenrechtskonvention sowie der Genozidkonvention von 1948 der Fall«, so Kirchhoff. Zum anderen werden Formen, Grenzen und Möglichkeiten von humanitärer Intervention bei den Versuchen gezeigt, den Minderheiten- und Menschenrechten sowie dem Völkerrecht mehr Geltung zu verschaffen. »Die Jahreskonferenz versteht sich somit auch als Beitrag zur politischen Geschichte der Moderne«, resümiert der Tagungsorganisator.

www.dubnow.de

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025