Am größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem »Large Hadron Collider« (LHC) im Europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf, gab es Anfang des Monats Grund zum Feiern: Es war gelungen, zwei Teilchenstrahlen mit einer Energie gegeneinander prallen zu lassen, die in dieser Form weltweit noch nie vorher erzeugt werden konnte. Damit wollen Physiker Verhältnisse simulieren, wie sie kurz nach dem Urknall geherrscht haben dürften. Eine Gruppe aus 50 israelischen Forschern vom Technion und den Universitäten Tel Aviv und Haifa unter Leitung von Professor Giora Mikenberg vom Weizmann-Institut in Rehovot ist mit dabei.
protonen Mit einem Investitionsvolumen von vier Milliarden Euro, einer Planungs-, Entwicklungs- und Bauzeit von 25 Jahren und rund 7.000 Mitarbeitern lässt sich der LHC als eines der größten Forschungsprojekte bezeichnen, das die Welt je in Angriff genommen hat. In den vier unterirdischen Kavernen, in denen die großen Detektoren stehen, wollen die Physiker dem Geheimnis auf die Spur kommen, warum es überhaupt Materie gibt und wie sie entstanden ist. Dazu benutzen sie deren Grundbestandteile, die Protonen, und jagen zwei Strahlen dieser Teilchen gegenläufig fast mit Lichtgeschwindigkeit durch einen 27 Kilometer langen ringförmigen Tunnel. Inmitten der haushohen Detektoren lassen sie die Protonen dann aufeinanderprallen. Die Forscher wollen im Miniaturformat nachstellen, was bei der Entstehung der Welt passiert ist.
Dass die Teilchenphysiker derart große Hoffnungen auf den Beschleuniger setzen, hat seinen Grund in der extrem hohen Energie, mit der Protonen gegeneinandergeschossen werden. Beim Zusammenprall zertrümmern sich die Teilchen gegenseitig. Aus der Kollisionsenergie entstehen nach der Einstein-Formel E=mc² neue Teilchen, die Aufschluss über Grundfragen der Physik geben sollen.
made in israel Forschung an vorderster Front der Teilchenphysik findet hier statt, und das israelische Team leistet einen wichtigen Beitrag. Giora Mikenberg, der 1947 in Buenos Aires geboren wurde und im Alter von 16 Jahren nach Israel ging, um in einem Kibbuz zu leben, war von 1999 bis 2008 der Projektleiter für das Myon-Spektrometer des ATLAS, eines der vier Detektoren. Bei diesem handelt es sich um einen 25 Meter hohen Koloss im Inneren großer supraleitender Magnetfeldspulen, der aus einer schichtweisen Kombination verschiedener Messgeräte besteht. Er umgibt einen der vier Kollisionspunkte des Beschleunigers. Die Messgeräte haben die Aufgabe, Flugbahn, Impuls, elektrische Ladung und Energie der bei den Zusammenstößen entstehenden Teilchen aufzuzeichnen. In der äußersten Detektorschicht des ATLAS befinden sich die Myonkammern. Sie registrieren Myonen, die auch als »schwere Elektronen« bezeichnet werden.
»Wir haben schon beim Vorgängerprojekt seit 1983 an der Entwicklung dieser Messgeräte mitgearbeitet, die dazu dienen, zu entscheiden, welche Zusammenstöße zwischen den Protonen für eine nähere Betrachtung interessant sind. Diese bilden nun einen wichtigen Teil des ATLAS-Detektors im LHC«, erklärt Mikenberg. »Zwei Drittel dieser sogenannten TGC-Detektoren wurden in Israel gebaut und getestet, der Rest in Japan und China.«
hummus-hunger Nun herrscht also hektische Betriebsamkeit rund um den Beschleuniger-Giganten, der unter der Erde eingebettet ist in die Ebene östlich des französischen Jura, die sich zum Genfer See hin öffnet; malerische Dörfer und Weingärten umgeben das Forschungszentrum. Physiker und Ingenieure aus der ganzen Welt arbeiten und leben hier miteinander, die Kantine, von deren Terrasse aus man an klaren Tagen bis hinüber zum Mont Blanc sieht, ist ein Ort der Begegnung zwischen allen Kulturen. Hier sitzen Forscher aus 85 Ländern, essen das Mittagsmenü »Proton« oder »Neutron« oder diskutieren bei Unmengen Kaffee bis tief in die Nacht. »Inder und Pakistani, Israelis und Palästinenser, Araber und Amerikaner leben und arbeiten hier friedlich Seite an Seite«, sagt Maximilian Metzger, Generalsekretär des CERN, »das gemeinsame Ziel eint sie alle.« Und Giora Mikenberg erinnert sich, wie Israelis und Palästinenser gemeinsame Erfolge feierten oder wie seine Leute zusammen mit libanesischen und palästinensischen Kollegen vernünftigen Hummus in Paris besorgten, als sie der Hunger danach überkam.
Ende vergangenen Jahres hatte man am LHC schon einmal Protonen aufeinander geschossen – als Test mit weit geringerer Energie. Nach monatelanger Vorbereitung gelang nun der nächste Schritt. Die Teilchenstrahlen wurden zunächst auf eine Energie von 3.500 Milliarden Elektronenvolt beschleunigt, bevor man sie zur Kollision brachte. Die Energie, die dabei auf kleinstem Raum konzentriert wird, entspricht der von zwei Elefantenherden mit je 60 Tieren, die mit Volldampf in der Savanne aufeinander losrennen. Klar, dass einiges an Staub aufgewirbelt wird, wenn sich die beiden treffen. Giora Mikenberg und seine Mitarbeiter hoffen, dass das auch für die wissenschaftlichen Erkenntnisse gilt.