Mirjam Pressler fand im Schreiben ihr Glück. Sie fand es recht spät, über Umwege, und hielt es fest, denn: »Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen.«
Als ihr erstes Buch, ein Kinderbuch, erschien, war sie bereits 40 Jahre alt. Ihr Leben war bis dahin so schwierig wie unkonventionell gewesen. An sich zu glauben und ganz auf die eigene Kraft zu vertrauen, darauf, dass trotz widrigster Startbedingungen ein Leben glücken kann, wenn man stur und beharrlich an seinen Träumen festhält, ist die Erzählung ihres Lebens und das Thema, das sich durch all ihre Werke wie ein roter Faden zieht. Da gibt es kein Idyll, Hoffnung gleichwohl. Gesprochen hat sie nicht gern über ihre schwierige Kindheit.
Kinder und Jugendliche blieben ihr Publikum, an die 40 Bücher schrieb sie für sie – und vor allem an diese wendet sich die Ausstellung. Sie will junge Leserinnen und Leser ermutigen, wie Pressler das kleine Glück zu sehen und zu sich einzuladen.
Als Marianne Gunkel wurde Pressler 1940 unehelich geboren und wuchs in einer Pflegefamilie und in Heimen auf. Mit 16 verließ sie das Internat, bewarb sich, um Malerin zu werden, an der Städelschule, von der sie mit 17 wieder flog, wegen »Disziplinlosigkeit« und »Unbegabung«. Mit trotzigem Lebensmut, einem unerschütterlichen »Ich kann das!«, ungemeinem Fleiß und Disziplin nahm sie ihr Leben in die Hand.
Sie wählte den Namen der Schwester Mosesʼ und konvertierte zum Judentum
Sie wählte den Namen Mirjam, den der Schwester Mosesʼ, die darauf vertraut, der ausgesetzte Baby-Bruder würde Rettung und seinen Weg finden, zog nach München, konvertierte zum Judentum, reiste allein nach Israel, heiratete Jehuda Pressler, bekam kurz nacheinander drei Töchter, ließ sich nach der Geburt des dritten Kindes scheiden, fuhr Taxi und betrieb einen Jeansladen.
Zum Schreiben und Malen blieb nur die Nacht, bis der überraschende Erfolg des Kinderbuches Bitterschokolade ihr ihre Bestimmung zeigte: das Buch, nicht die Leinwand. Aber doch ein schöpferischer Beruf, kein sehnsuchtsvoll beladenes Hobby. Mit ihrem verblüffenden »Ich kann das!«, ihrer instinktiven Begabung und, man muss das von außen so sagen, ihrer Chuzpe wurde die Kinderbuchautorin so auch zur gefeierten Übersetzerin aus dem Hebräischen und dem Niederländischen.
Alles brachte sie sich selbst bei, auch die Sprachen hat sie »nur« in Pressler-Art studiert: allein, an der Universität des Lebens, keiner Akademie. Sie übertrug unter anderem Zeruya Shalev, Lizzie Doron, Shulamit Lapid, Batya Gur und löste Ruth Achlama als Übersetzerin von Amos Oz ab.
Mirjam Pressler löste Ruth Achlama als Amos- Oz-Übersetzerin ab.
Für den Roman Judas des internationalen Stars der israelischen Literatur erhielten Autor und Übersetzerin zusammen einen Preis. Die Eigenständigkeit und Eigenmächtigkeit Presslers, deren gesprochenes Iwrit gar nicht mal so gut gewesen sein soll, lobte Oz jedoch als geglückte Interpretation: Pressler wäre eine wunderbare Pianistin seines Violinkonzerts.
Ein Auftrag zu einer Übersetzung aus dem Niederländischen wurde gewissermaßen schicksalshaft und brachte ihr eine »Herzensfamilie«, wie sie es nannte: Der Anne Frank Fonds in Basel beauftragte 1987 eine Neuübersetzung der weltberühmten Tagebücher für eine vollständige Gesamtausgabe bei ihr. Für Mirjam Pressler waren Anne Franks Tagebücher das Werk einer Schriftstellerin und nicht »nur« ein Zeit-Dokument. Die Ausstellung fragt die Besucher: Was ist es für dich?
Freundschaft mit Gerti und Buddy Elias
Aus der Bekanntschaft mit Gerti und Buddy Elias, dem Cousin Anne Franks, erwuchs für Mirjam Pressler eine Freundschaft. Grüße und Küsse an alle. Die Geschichte der Familie von Anne Frank entstand nach vielen Stunden und Monaten, die sie bei Gerti und Buddy Elias im Haus der Familie in Basel verbrachte.
Auf dessen Dachboden hatte Gerti Fotos, Bilder, Briefe, Bücher, Geschirr und Mobiliar aufgestöbert, die von der jahrhundertealten Frankfurter Geschichte der Franks zeugen. Seit der Neueröffnung des Jüdischen Museums Frankfurt hat dieser Nachlass im Familie-Frank-Zentrum dort sein Zuhause. Ein »wunderbarer, ganz bescheidener Mensch« sei Mirjam Pressler gewesen, erzählt Gerti Elias.
Sie übertrug Anne Franks Tagebücher neu aus dem Niederländischen.
Die Ausstellung lädt ein, sich die Frage zu stellen: Wie helfe ich selbst meinem Glück auf die Sprünge? Das kommt nicht öde deutsch-pädagogisch daher. Verpackt in ein intellektuell barrierefreies Ambiente, ästhetisch etwas rumpelig mit Sperrholzwänden als Raumteiler, wird dem Besucher scheinbar naiv direkt die wichtigste Frage gestellt. Mit »Mitmachstationen«, kleinen Sitzrängen zum Verweilen und Stöbern in Ruhe – vorausgesetzt, die Ausstellung wird nicht überrannt.
Was ihr jedoch sehr zu wünschen ist. Glückskekse mit Pressler-Worten gibt es obendrauf. Ein ambitioniertes Programm mit Mal- und Schreibwerkstätten begleitet die Schau.
Es muss nicht das Schreiben sein, durch das man sein Glück finden kann. Ermutigt zu werden, an sich und seine Zukunftsträume, welcher Gestalt auch immer, zu glauben und daran zu arbeiten, egal, wie widrig die Umstände sind, reicht völlig aus. Oder, in Mirjam Presslers Worten an ihre Töchter: »Ihr müsst nichts Besonderes werden, ihr müsst nur besonders glücklich werden.«
Die Ausstellung »Mirjam Pressler – Schreiben ist Glück« ist im Jüdischen Museum Frankfurt bis 1. September zu sehen.