Ende Januar feierte in Berlin die israelisch-deutsche Koproduktion Youth ihre Kinopremiere. Der Spielfilm über zwei Jugendliche, die aus Geldnot eine Jugendliche entführen, zeigt die Folgen der Wirtschaftskrise in Israel auf und ist ein Beweis für die Vielfältigkeit und Vitalität des israelischen Kinos.
Vor genau einem Jahr hatte Youth, das Regiedebüt des ehemaligen Filmkritikers Tom Shoval, auf der Berlinale seine internationale Uraufführung. Das drittwichtigste Filmfestival der Welt nach Cannes und Venedig bietet seit Jahren dem israelischen Film, jüdischen Filmemachern und der Auseinandersetzung mit jüdischen Themen ein Forum.
Ob Claude Lanzman, Träger des vorjährigen »Ehrenbären«, der 1986 Shoah in Berlin vorstellte, Marcel Ophüls mit der Klaus-Barbie-Dokumentation Hotel Terminus 1986 oder israelische Regisseure wie Assi Dayan, 1993 im Wettbewerb mit Life according to Agfa und Eran Riklis mit Lemon Tree 2008 – immer wieder wurden in Berlin bahnbrechende Werke präsentiert.
mangel Anders dieses Jahr. Da sind aus Israel eine Dokumentation sowie ein Kurzfilm im Programm. Nicht mehr. Auf die Frage bei der Vorab-Pressekonferenz am 28. Januar, warum das so ist, reagierten die Festivalmacher lapidar und überrascht. Berlinale-Direktor Dieter Kosslick verwies zunächst darauf, dass es dafür ja »viele Filme aus China« gäbe; auch Osteuropa sei diesmal nicht so stark vertreten.
Der Leiter der Sektion »Panorama« Wieland Speck meinte nur: »Israel ist ein Land wie jedes andere.« Dazu die üblichen Ausreden: Film sei zyklisch, vielleicht sei ja der eine oder andere Film nicht rechtzeitig fertig geworden. Immerhin: Von einer »Krise der israelischen Filmbranche« könne keine Rede sein, meinte Kosslick dann doch noch versöhnlich.
Woran liegt die faktische Abwesenheit des israelischen Kinos bei der Berlinale 2014? Ist es böse politische Absicht? Die Erklärung ist vermutlich banaler: Man hat sich in Berlin wohl darauf verlassen, dass Produzenten israelischer Filme von alleine etwas Gutes einreichen, und hat selbst nicht sonderlich recherchiert.
Der Berlinale mangelt es seit Jahren an einem guten Händchen für neue Trends. Weder baut man Regisseure auf, noch hält man ihnen die Treue, so wie es in Cannes getan wird. Auch Regionen und aufstrebende Kinematografien wie die in Polen, Rumänien und eben Israel werden in Berlin eher zufällig wahrgenommen. Wenn in den vergangenen Jahren osteuropäische Filme auf internationalen Festivals regelmäßig Preise abräumten und in diesem Jahr kein einziger Film aus Osteuropa im Wettbewerb ist, sagt das viel über die Auswahljury und die Abwesenheit einer Handschrift aus. Insofern befindet sich das übergangene israelische Kino in guter Gesellschaft.
dokumentationen Dennoch gibt es auch in diesem Jahrgang einiges Sehenswertes an jüdischen Themen. Die Stärke der Berlinale sind Dokumentarfilme, die in Cannes und Venedig kaum gezeigt werden. So findet sich im Programm des »Forums« mit German Concentration Camps, Factual Survey eine 70-minütige Dokumentation aus Großbritannien. Sie entstand 1945 unter Mitarbeit von Alfred Hitchcock und dokumentiert nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen die Schrecken der Schoa. 10.000 Tote und 15.000 Sterbende wurden von Mitarbeitern der »Psychological Warfare Division« gefilmt.
Daraus sollte ein Film entstehen, der die Deutschen mit ihrer Schuld konfrontiert. Dazu kam es jedoch nie. Die Aufnahmen verschwanden im Archiv und konnten nur als Fragment unter dem Titel Memory of the Camps vor 30 Jahren im »Forum« gezeigt werden. Jetzt ist dieses historische Dokument, rekonstruiert und ergänzt, wieder zu sehen.
1945 setzt auch die Handlung der einzigen israelischen Koproduktion Der Anständige ein. Als die US Army im Mai 1945 am Tegernsee das Haus der Familie Himmler besetzt, stößt man auf Hunderte von Dokumenten, Briefen und Tagebüchern. Einer der zynischsten Massenmörder des NS-Regimes schreibt an Frau, Tochter und Geliebte Sätze wie: »Mir geht es bei vieler Arbeit sehr gut«, oder nach einem Besuch des KZ Dachau »Schön ist’s gewesen«. Heinrich Himmler, der sich in seinen Selbstzeugnissen gern auf »deutsche Tugenden« berief, hielt sich selbst stets für «anständig«. Die aus Belgien stammende Filmemacherin Vanessa Lapa, die seit fast 20 Jahren in Tel Aviv lebt, führte Regie bei diesem israelisch-deutsch-österreichischen Film.
Einen Überlebenden der Schoa dokumentiert der 1978 in der DDR geborene Filmemacher René Frölke in Le Beau Danger. Der aus der Bukowina stammende Schriftsteller Norman Manea kam 1941 als Fünfjähriger in ein Konzentrationslager. Im Alter von 50 Jahren emigrierte er 1986 in den Westen. Nach Österreich führt Und in der Mitte, da sind wir. Drei 15-Jährige stören 2009 die Gedenkstunde an die Toten in einem ehemaligen Konzentrationslager. Der Film lässt die Pubertierenden und ihre Eltern zu Wort kommen. Was sie über die NS-Zeit sagen, wirft ein Licht auf die offizielle Gedenkkultur und den Umgang mit der Vergangenheit.
Im Kurzfilmwettbewerb »Berlinale Shorts« schließlich ist die israelisch-palästinensische Koproduktion Im Tekhayekh, Ha’Olam Yekhayekh Elekha (Lache und die Welt lacht mit dir) über eine israelische Razzia bei Palästinensern in Hebron zu sehen.
spielfilme Zum Glück ist jüdisches Leben mehr als nur Schoa und Nahostkonflikt. Der einzige Film im Festivalprogramm, der das auch zeigt, läuft in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino«. Anderswo heißt das Spielfilmdebüt der seit 10 Jahren in Berlin lebenden israelischen Regisseurin Ester Amarami, eine Koproduktion der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg und des MDR Leipzig.
In der nicht ganz bierernsten Geschichte dreht sich alles um Noa, die aus Israel nach Berlin kam. Dort hat sie Jörg, einen deutschen Freund, gerät jedoch in eine Krise, und nach einem nicht erteilten Auftrag für ein Wörterbuch unübersetzbarer Worte »flieht« sie spontan zurück in die alte Heimat. Als dann dort aber ihr »heimlicher« Deutscher aufkreuzt, geraten die säuberlich getrennten israelisch/deutschen Welten ins Wanken.
Ebenfalls nicht immer ernst ist der Prestigefilm der Berlinale, auf den Dieter Kosslick besonders stolz ist. George Clooney wird seinen Film Monuments Men persönlich in Berlin vorstellen und den Männern Ehre erweisen, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs um Beute- und Raubkunst der Nazis kümmerten und Kunstwerke retteten. Darunter befand sich auch viel jüdischer Besitz.
Der Trailer des Films setzt durchaus auf Humor. Man darf gespannt sein, wie das gehobene Hollywoodkino sich diesem hochaktuellen Thema stellt. Wem das alles noch nicht jüdisch genug ist: Berlinale-Jurypräsident James Schamus, preisgekrönter Drehbuchautor und einer der wichtigsten Independent-Produzenten der USA (Brokeback Mountain), ist auch Jude. Allerdings ein israelkritischer. Als politisches Statement des Festivals sollte man auch das aber bitte nicht bewerten.