»Das Klezmer Projekt« von Leandro Koch und Paloma Schachmann beginnt auf einer Hochzeit in Argentinien. Leandro, der aus einer jüdischen Familie kommt und sich weder für seine Herkunft noch für die Kultur oder die Religion seiner Vorfahren interessiert, ist als Hochzeitsfilmer engagiert. Dabei verliebt er sich prompt in Paloma, die als Klarinettistin einer Klezmer-Band für die musikalische Begleitung der Feier sorgt. Leandro ist so heftig verknallt, dass er leichtsinnig wird.
Um bei Paloma Eindruck zu schinden und ihr näher zu kommen, gibt er vor, einen Dokumentarfilm über das Thema Klezmer zu planen. Als die Musiker ein Engagement in Europa bekommen, nutzt Leandro die Gelegenheit. Er folgt der Band und beginnt tatsächlich mit den Recherchen zu einem Film über diese beinahe verlorene jüdische Musikkultur im Osten Europas. Arte zeigt ihn am 25. November um 23.30 Uhr.
Spurensuche
Der junge Filmemacher macht sich auf die Suche nach Musikgruppen, die heute noch Klezmer spielen und singen können. Dafür reist er durch die Ukraine, Rumänien und Moldawien. Er entdeckt Roma-Dörfer, in denen die jüdische Musikkultur weiterlebt, obwohl die Bevölkerung deren Ursprünge nicht mehr kennt. Unter dem Schutz der Roma überdauerte der Klezmer; vor dem Genozid lebten sie Tür an Tür mit der jüdischen Bevölkerung. Leandro begegnet vor allem alten Menschen, die sich kaum noch an die Vergangenheit erinnern. Aber er wird reich belohnt. Zunächst durch Palomas Liebe, dann aber auch durch immer mehr musikalische Reminiszenzen an die Vergangenheit.
Der Klezmer wird wieder lebendig und mit ihm die fast versunkene Welt einer reichen Kultur, die von Menschenhand beinahe zerstört worden wäre und von der nur noch wenige Relikte existieren. In der ukrainischen Grenzstadt Solotwyno lebt heute nur noch ein einziger Jude. Wenn er in die Synagoge will, muss er die Grenze nach Rumänien überqueren.
Alte Fotos auf einem Dachboden
In der Mitte des Films gibt es einen Schlüsselmoment. Ein Mann zeigt Fotos, die er auf dem Dachboden gefunden hat, eingewickelt in Tüchern und gut versteckt. Sie zeigen das jüdische Leben im »Schtetl« vor dem Holocaust. Die Namen der Menschen auf den Bildern sind so unbekannt wie ihr Schicksal; doch früher haben sie alle einmal hier gelebt, in der heutigen Grenzregion Maramures zwischen Rumänien und der Ukraine. Kinder, Frauen, alte Leute, ganze Familien. »Sie müssen ins Ghetto gebracht worden sein«, sagt der Finder. »So viele Fotos, und niemand weiß etwas über sie.«
Diese Szene ist eine von vielen berührenden Episoden in einem Dokumentarfilm, der sich trotz einer manchmal verwirrenden Komplexität mit leisem Humor stets eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. Im Vordergrund steht Leandros Suche nach dem Klezmer. Doch neben der halbfiktionalen Liebesgeschichte gibt es einen zweiten Erzählstrang.
Darin erzählt eine alte Frau auf Jiddisch parallel zur Liebesgeschichte zwischen Leandro und Paloma die Geschichte von Jankele, dem Lügner, und Taibele, der wissbegierigen Tochter des Rabbiners im Schtetl. Das ist so rührend wie witzig, denn die Parallelen sind offenkundig. Diese alte Geschichte leitet von einer Episode zur nächsten und mündet schließlich in eine musikalische Vergangenheit, in der sich die Handlungsstränge treffen und miteinander verbinden.
Eine magische, lustig-traurige Musik
Diese dramaturgische Struktur macht einen großen Teil des Charmes von »Das Klezmer Projekt« aus, in den man sich förmlich hineinziehen lassen kann. Obwohl sie nicht das eigentliche Thema des Films ist, steht die Schoah doch wie ein unsichtbares Fanal über ihm. Aber eigentlich geht es um Musik, und die hat es in sich: so viel Energie, lustig und traurig zugleich, Musik zum Tanzen und zum Träumen. Die feine Melancholie in den Klezmer-Rhythmen passt gut zur Stimmung des Films, zu der immer wieder gebrochenen humorvollen Leichtigkeit, in der sich die Biografien der beiden Filmemacher widerspiegeln, und zu der Zerrissenheit, die sich aus ihrem kulturellen Erbe ergibt.
Daraus resultiert eine ganz eigene, sehr besondere Poetik, die gleichzeitig modern und altmodisch ist. Manchmal erinnert der Film an eine Rundfahrt mit einem »Hop On Hop Off«-Bus: Man springt auf, lässt sich mitnehmen, bis der Bus anhält, man abspringt und mit etwas Neuem konfrontiert wird, das noch interessanter ist. Man möchte bleiben, aber der Bus fährt weiter.