Herr Peiffer, Sie haben gerade zusammen mit Henry Wahlig eine Fleißarbeit vorgelegt: eine Studie über »Juden im Sport während des Nationalsozialismus« in Bremen und Niedersachsen. Was hat Sie dazu angetrieben?
Seit vielen Jahren forsche ich zum Sport im Nationalsozialismus, und da ist der Ausschluss jüdischer Mitglieder aus den Vereinen ja eines der wichtigsten Kapitel. Doch immer hieß es, man könne den Ausschluss nicht quantifizieren, es gebe ja keine Zahlen darüber, wie viele Juden im deutschen Sport organisiert waren. Und auch sehr oft heißt es, dass der Ausschluss, die Einführung der »Arierparagrafen«, von oben, vom NS-Regime und seiner Sportführung oktroyiert worden sei.
Stimmt das nicht?
Nein, wir können – weil wir eine Regionalstudie durchgeführt haben und die Situation in den Städten und Gemeinden, ja, in den einzelnen Vereinen genau analysiert haben – gerade zeigen, dass der Ausschluss der Juden ein selbstständiger Beschluss der Vereine war. Dafür sind diese dann auch verantwortlich.
Warum wird dieses wichtige Kapitel der Alltagsgeschichte erst jetzt, im 21. Jahrhundert, erforscht?
Sport galt auch in der historischen Forschung, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, stets als etwas Profanes. Wenn entlang von Biografien über die Exklusion von Juden aus der deutschen Gesellschaft geforscht wurde, dachte man meist an die Hochkultur: jüdische Musiker, jüdische Wissenschaftler, jüdische Literaten. Dass Juden auch im Dorfverein waren und dort mal gut, mal schlecht Handball gespielt haben, hatte niemand so richtig im Blick.
Waren viele Juden in Sportvereinen?
Genaue Zahlen haben wir nicht: Wer sollte die Mitglieder in den 20er- und 30er-Jahren auch unter dem Gesichtspunkt jüdisch/nichtjüdisch erfasst haben? Was aber auffällt, ist zweierlei: Nach 1933 hat die Mehrheit in den Vereinen oft sehr genau gewusst, wer Jude ist und nach ihrer Vorstellung raus muss. Und: Juden waren in jüdischen Vereinen, etwa in den Makkabi-Clubs, besser organisiert als vergleichbare gesellschaftliche Gruppen in bürgerlichen Vereinen. Oft waren zehn oder mehr Prozent der Mitglieder einer jüdischen Gemeinde auch in einem jüdischen Sportverein.
Was bedeutet das?
Juden haben immer viel Sport getrieben. Man liest ja oft den Begriff der »Scheinblüte«, wenn von dem plötzlichen Anwachsen der Mitgliederzahlen in jüdischen Sportvereinen von 1933 bis 1938 die Rede ist. Dabei waren Juden im Sport schon vorher ein großes soziales Phänomen.
Es heißt immer, dass es in Deutschland – anders als etwa in Polen – keinen jüdischen Arbeitersport gab. Stimmt das?
Es gab etliche jüdische Sportgruppen, etwa in Bremen oder in Aurich, die sich dem Arbeiter-Turn-und-Sportbund (ATSB) angeschlossen hatten. Der ATSB wurde ja 1933 verboten, und damit waren diese Vereine und Gruppen aufgelöst. Viele der jüdischen Arbeitersportler, wenn sie in Deutschland blieben, gingen dann in die jüdischen Vereine.
Warum waren sie in den 20er-Jahren zum ATSB gegangen?
Da kann man nur spekulieren: In Ostfriesland beispielsweise, wo der Arbeitersport ohnehin sehr verbreitet war, gab es eine starke Männerhandballliga, und der »Jüdische Jugendverein Corona« meldete sich mit seinen Handballern dort an. Vermutlich, weil das sportlich reizvoll war.
Mit dem Hannoveraner Sporthistoriker sprach Martin Krauß.
Lorenz Peiffer/Henry Wahlig: »Juden im Sport während des Nationalsozialismus: Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen«. Wallstein, Göttingen 2012, 407 S., 34,90 €