Als Ruth Bader Ginsburg am Abend des 7. November dieses Jahres mit mehrfach gebrochenen Rippen ins Krankenhaus kam, ging ein Schockbeben durch die liberale Welt. Könnte dies etwa das Ende ihrer beruflichen Laufbahn sein?
Denn »Notorious R.B.G.«, wie sie zuerst von Fans genannt wurde, ist mit ihren 85 Jahren nicht nur auf Lebenszeit benannte Richterin des Supreme Court der USA, sondern mit Entscheidungen besonders zu Fragen geschlechtlicher Diskriminierung auch eine Wegbereiterin heutiger Frauenrechte. In den vergangenen Jahren, erst recht nach der Wahl Trumps, wurde die zweite Frau auf einem Supreme- Court-Posten durch das Netz auch zu einer wahren Pop-Ikone unter ganz jungen US-Bürgern.
»ZOMBIE« Der Film RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit von Julie Cohen und Betsy West erzählt all das und beginnt zu Bildern aus Washington mit einer von einer Rossini-Ouvertüre unterlegten Sammlung abfälliger Zitate zu Ginsburg, von »Anti-American« über »wicked« und »witch« bis »zombie«.
Dann folgen kurze Einblicke in das beachtliche Fitnessprogramm der alten Dame – und die chronologische Erzählung des außerordentlichen Lebens einer fleißigen, schüchternen Juristin, die als eine von neun Frauen unter 500 männlichen Studenten ihr Studium an der Harvard Law School begann und dabei noch einen krebskranken Mann und ein kleines Kind mitversorgte.
Erst als Ruth Bader Ginsburg trotz ihres brillanten Abschlusses in ganz New York keine angemessene Stelle in einer Kanzlei bekam, erkannte sie die Misogynie des damaligen Justizbetriebs und entschloss sich, mit den erlernten, ganz eigenen Mitteln und aller Kraft als Anwältin dagegen anzukämpfen. So bilden die von ihr erstrittenen Gerichtsurteile in vielen dieser Fälle neben dem biografischen den zweiten roten Faden des Films.
Der Film von Julie Cohen und Betsy West war in den USA höchst erfolgreich.
Dessen Grundlage sind neben einer reichhaltigen Auswahl an Archivbildern und Fernsehmitschnitten ein langes Interview und ein paar Ausflüge mit Ginsburg selbst sowie Gespräche mit ihren beiden Kindern, Freunden, Kollegen und anderen Wegbegleitern.
Dabei ist RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit wie so viele andere US-Dokumentationen so sehr von der Angst vor Langeweile getrieben, dass leider keine der vielen befragten Personen mehr als einen Satz lang zu sehen ist, kein unbewegtes Bild länger als eine Sekunde stehen bleibt und hinter fast jedem verbalen Statement mindestens noch ein Piano mitklimpert.
HELDIN Das ist professionell und kunstvoll gemacht, führt aber beim Zuschauen rasch zu einem Gefühl von Besoffenheit. Und eigentlich sehr schön ausgedachte Montage-Highlights wie die Kombination einer straffen Workout-Sitzung mit der Arie der Königin der Nacht aus der Zauberflöte von Mozart gehen fast unter in der Flut der einstürmenden Bilder und Töne.
Als sie trotz ihres brillanten Abschlusses keine angemessene Stelle bekam, erkannte sie die Misogynie des Justizbetrieb.
Zugegebenermaßen war der Film von Julie Cohen und Betsy West in den USA mit diesem Konzept höchst erfolgreich. Und vielleicht lässt sich seine Getriebenheit auch als mimetische Spiegelung des Arbeitsrhythmus der schwer arbeitssüchtigen Titelheldin lesen. Eine Menge Zeitgeschichte lernen lässt sich auf jeden Fall.
R.B.G. selbst ist übrigens wieder aus dem Krankenhaus entlassen und zu Hause – bei der Arbeit, wo sonst?
»RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit«, USA 2018, Regie: Julie Cohen und Betsy West. Mit Ruth Bader Ginsburg, Bill Clinton, Jane Ginsburg, Lilly Ledbetter u.a.
Ab 13. Dezember im Kino