David Grossman

Ansichten eines Clowns

»Einige der Witze in dem Roman habe ich selbst erfunden«: David Grossman Foto: Flash 90

Kommt ein Pferd in die Bar – so fängt natürlich ein Witz an, den auch in Israel jedes Kind kennt. Aber auf einen lustigen Anfang folgt in David Grossmans neuem Roman Kommt ein Pferd in die Bar eine sehr ernste Geschichte. Der Autor von drei Dutzend Romanen, Sach- und Kinderbüchern tischt hier eine ungewohnte Mischung aus Lachen und Entsetzen auf, die die 20 Kritiker der SWR-Bestenliste so beeindruckt hat, dass sie das Buch des Friedenspreisträgers von 2010 zeitgleich mit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung auf den ersten Platz ihrer Februar-Liste hoben.

»Wer lacht, musst nicht weinen« – nach dieser Devise unterhält der abgehalfterte Stand-up-Comedian Dovele Grinstein in Netanya, dem Diamantenstädtchen zwischen Tel Aviv und Haifa, ein sehr gemischtes Publikum: Alte und Junge, Ehepaare, auch ein paar Schwule. Neben den Späßen auf der Bühne genießen die Leute der Kleinstadt am Meer gegrillte Aubergine mit Tahina und lassen sich von Kellnerinnen in grellvioletten Shorts und Trägerhemdchen Getränke bringen.

Witze Es ist der 20. August, Grinsteins 57. Geburtstag. Der kleine Mann mit der großen Brille hat sich mit Jeans, roten Hosenträgern, Cowboystiefeln und Sheriffsternen für seine Show ausstaffiert. 750 Schekel bekommt er für den Abend, also knapp 175 Euro. Er läuft auf der Bühne hin und her und macht joviale Witze (»Wirklich originell, wenn ich Ihre Frisur richtig interpretiere, Kuppelbaudesign, würd ich sagen – liege ich ganz falsch, wenn ich vermute, da war derselbe Designer am Werk wie bei der Moschee auf dem Tempelberg oder beim Reaktor in Dimona?«).

Anzüglich wird Grossmans Protagonist ebenfalls (»Also, Netanjutschka, die Vorstellung heute, die ist der Knaller: Euer ergebener Diener vor Hunderten weiblicher Fans, und die reißen sich die BHs vom Leib, ja, mach ruhig das Häkchen schon mal auf, Tisch zehn, lass sie raus … hoppala! Habt ihr’s klatschen gehört?«). Grinstein beschimpft die Zuhörer (»Ich kann eure Stadt sowas von nicht ab!«), sucht den Schulterschluss, wird laut, verstummt, schlägt sich an die Stirn, fixiert einzelne Gäste. Und macht wieder einen Witz.

In einem Interview verriet Grossman jüngst: »Einige der Witze in dem Roman habe ich selbst erfunden, stellen Sie sich vor. Und die Leute schicken mir Witze! Für die nächste Auflage!«

Netanjahu Der Autor, der seinen Ruhm zuletzt mit seinem preisgekrönten Roman Eine Frau flieht vor einer Nachricht (2009) untermauerte, ist bekannt für seine linksliberalen Ansichten, seine kritische Haltung gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und sein Eintreten für eine Aussöhnung mit den Palästinensern.

In Aus der Zeit fallen (2013) thematisierte der Friedensaktivist sehr persönlich den Verlust seines Sohnes Uri, der 2006, mit 20 Jahren, im Libanonkrieg gefallen war. Und im vergangenen Jahr zog er seine Kandidatur für den Israel-Preis aus Protest gegen eine Einmischung von Netanjahu in die Arbeit der Jury öffentlichkeitswirksam zurück.

Doch Grossmans Geisteshaltung deckt sich nicht unbedingt mit den Themen, die er seinem Non-stop-Redner in den Mund gelegt hat. Dessen Sprüche reichen von Krankheit bis Krieg, von Sex bis Schoa, von Testosteron bis Tod. Das klingt dann so: »Dieser neue Antisemitismus, der geht mir sowas von auf die Eier! An den alten hatte ich mich ja irgendwie gewöhnt, den hab ich sogar ein bisschen gemocht, diese netten Märchen über die Weisen von Zion zum Beispiel. Damit leben wir seit Langem, daran haben wir uns gewöhnt, das ist ja fast schon Teil unserer Folklore.«

traurig Zunehmend entsetzt verfolgt Avischai Lasar, ein Jugendfreund des Comedian, den Grinstein zu seiner Show eingeladen hat, die bemühten Späße. Vor über 40 Jahren plagten sie sich gemeinsam beim Mathe-Nachhilfeunterricht in Bayit VeGan. Der pensionierte Bezirksrichter Lasar kommentiert die Auslassungen des traurigen Clowns als Ich-Erzähler.

Dann entdeckt Lasar einen Tisch weiter eine sehr kleine Frau mit dicken orthopädischen Schuhen, die Dovele ebenso fassungslos wie traurig zuschaut. Auch sie kennt den Spaßmacher schon seit Kindertagen. »Du warst doch ein guter Junge!«, ruft die Frau namens Asulai ihm zu. Derart angesprochen, kippt die lustige Veranstaltung, und Dovele hebt zum tragischen Teil an: »Nun denn, Brüder und Schwestern, seid ihr bereit? Hier kommt die irrsinnig komische Geschichte über die erste Beerdigung meines Lebens, ihr werdet Tränen lachen.«

Damals, Grinstein war zu diesem Zeitpunkt 14 und ein Waisenkind, wurde der Junge von einem Soldaten abgeholt und nach Hause gebracht. Um dem Soldaten die Begegnung mit dem Tod eines Verwandten leichter zu machen, erzählt er ihm Witze wie den von dem Pferd, das in eine Bar kommt und ein langes Gesicht macht.

experimentell Grossman, der vergangene Woche in Jerusalem seinen 62. Geburtstag gefeiert hat und wenig später schon wieder beim Literaturfestival ZEE Jaipur in Indien auf dem Podium saß, lässt seinen gewagten Text wie einen ruhigen Fluss dahinfließen, ohne Kapiteleinteilung, nur selten unterbrochen durch winzige Initiale. Anführungsstriche gibt es nicht, und den Wechsel von Dovele Grinsteins Rede zu Lasars Ich-Erzählung macht nur ein Gedankenstrich kenntlich.

Diese fast schon experimentelle Textgestaltung kannte man bisher nicht von Grossman: Vom ersten Satz an trifft er in diesem Roman dennoch traumwandlerisch sicher eine wechselnde Tonlage zwischen Spaß und Ernst, der man sich nicht entziehen kann.

David Grossman: »Kommt ein Pferd in die Bar«. Übersetzt von Anne Birkenhauer. Hanser, München 2016, 256 S., 19,90 €

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