Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
So beginnen präzise Analysen der Lage im Nahen Osten: »Ich weiß sehr wenig über die ägyptische Politik«, gibt Roger Waters in einem YouTube-Video zu. Das hält ihn – We don’t need no education im Kopf – aber nicht davon ab, in den nächsten zehn Minuten allgemeine Ratschläge zur Lösung des Nahostkonflikts zu erteilen und die Ägypter zur Solidarität mit den Palästinensern aufzufordern.
Bisher war Waters vor allem als kreativer Kopf von »Pink Floyd« bekannt, die in den Siebzigern mit Alben wie Animals und Dark Side of the Moon zu den Königen des Prog-Rocks wurden. Als sonderlich politischer Künstler trat Waters dabei nicht in Erscheinung, sieht man von hellsichtigen Warnungen vor fliegenden Riesenschweinen und marschierenden Hämmern ab. In den letzten Jahren aber hat der Popmusiker sich ganz leise zum lauten pro-palästinensischen und anti-israelischen Aktivisten entwickelt.
Apartheid Als Sprecher des »Russell Tribunal on Palestine« durfte er Ende November, am »Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk«, sogar vor der UN auftreten. Dort bezichtigte Waters Israel der Apartheid, ethnischer Säuberungen und diverser Kriegsverbrechen. Er forderte seine Zuhörer auf, sich vorzustellen, was passiert, wenn Phosphor »in Berührung mit der Haut eines Kindes kommt« – das Gleiche wie bei der Haut eines Erwachsenen, sollte man meinen.
Überhaupt, die Kinder: Raketen auf zivile Gebiete in Israel seien zwar »falsch«, stellte Waters fest. Wenn man sich aber zum Beispiel den palästinensischen Jungen, der von einem israelischen Soldaten beim Fußballspielen erschossen wurde, vor Augen führe, würden diese Raketen ... was? »Ex iniuria ius non oritur« (Aus Unrecht entsteht kein Recht) – sagte Waters und meinte damit Israel.
trend Originell ist das alles nicht. Man hat es so oder ähnlich schon (zu) oft gehört. Auch, dass in Gaza Pazifisten an der Macht sind: »Wo ich herkomme, wissen wir nichts davon, dass die Hamas zu Frieden nicht bereit ist.« Mal ganz abgesehen vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage wundert es, wenn ein Brite aus Surrey von »uns New Yorkern« spricht, nur weil er seit noch nicht mal zehn Jahren auf Long Island lebt.
Mit einem weiteren bedeutungsschwangeren »Wir« und ein paar Tränen in der Stimme schloss Waters seinen Bericht, nicht ohne aber auch einen Schimmer Hoffnung zu verbreiten: »Um mit Bob Dylan zu sprechen: The times, they are a-changin’.« Das wird Dylan, der Israel schon vor Jahren in dem Song Neighborhood Bully gegen Kritik von der Watersschen Sorte vehement verteidigt hat, sicher unheimlich gefreut haben.
Mit seinen Ausfällen ist Roger Waters Teil einer alten Tradition: englische Popmusiker mit dummen bis ekligen politischen Ansichten. Morrissey kokettiert seit fast 30 Jahren mit seinem Rassismus. Eric Clapton hat in den 70ern als Unterstützer von Enoch Powell gefordert, dass »England weiß bleiben soll«. Clapton und Waters haben sich sogar schon gemeinsam politisch engagiert, als beide gegen ein Verbot der Fuchsjagd eintraten. »Israelkritik« ist in England seit etlichen Jahren sowieso Trendsport in der Populärkultur geworden. Vorreiter ist dabei der Regisseur Ken Loach, der sich sogar weigert, an Filmfestivals mit israelischen Beiträgen teilzunehmen.
The wall Ob man als Konsument wegen solcher Haltungen nicht nur die Künstler, sondern auch deren Kunst meiden soll, muss jeder für sich selbst entscheiden. Waters, der Israel-Boykotte als »Maßnahme der Liebe« beschreibt, vermischt aber beides immer wieder. Vor der UN zitierte er seinen Song The Gunner’s Dream und deutet heutzutage gerne sein legendäres Album The Wall, eigentlich ein recht intimes Statement über private Entfremdung, zum prophetischen politischen Manifest um – schließlich steht im Nahen Osten ja auch eine Mauer, das darf man nicht ungenutzt lassen.
Sogar einen Song for Palestine hat Waters geschrieben, in dem er allen Ernstes »We Shall Overcome« verkündet. Auch wenn der Pink-Floyd-Veteran ehrlich glaubt, zu diesem »We« zu gehören: Fünf Minuten altbekanntes Gitarrengegniedel hilft bei der Lösung des Nahostkonflikts auch nicht weiter.