Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Wer durch Berlin-Mitte flaniert, der läuft durch jüdische Geschichte. Von der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße zur Jüdischen Oberschule, vom Wohnhaus von Regina Jones, der weltweit ersten Rabbinerin, hin zum monströsen Denkmal für die ermordeten Juden Europas, vom alten Scheunenviertel zu angesagten Restaurants, die »koschere Küche« versprechen: Jüdische Freuden und jüdisches Leid, dicht beieinander.
Mit einem solchen Spaziergang beginnt Heimkehr der Unerwünschten von Olivier Guez. Das Buch, bereits 2007 in Frankreich erschienen, erzählt die Geschichte der Juden in Deutschland seit 1945 – nicht die Schulbuch-Version, nicht das »Wir sind froh, dass ihr wieder da seid«-Märchen von der einfachen Versöhnung, sondern die komplizierte Wahrheit. Kein leichtes Unterfangen, und was die Sache noch schwieriger macht: Die Geschichte gibt es nicht, nur viele kleine Einzelschicksale.
zeitzeugen So sind es vor allem Zeitzeugen, auf die sich Guez verlässt. Eindrucksvoll stellt er die Ungeheuerlichkeit der Situation 1945/1946 dar: Überlebende, Heimgekehrte und DPs, zurück im Land der Mörder. Es ist diese Epoche, die besonders fasziniert. Zu wenig wurde bislang über die Menschen geschrieben, die parallel zur Geburtsstunde der Bundesrepublik mit der Gründung des Zentralrats und der Jüdischen Gemeinden beschäftigt waren. Ausführlich und mit großen Tempo zeigt Guez, welche Rolle Juden in den Nachkriegsjahren spielten bei der Etablierung einer neuen demokratischen Kultur.
Es folgen Exkurse über das schwierige Verhältnis zur deutschen Linken und die zahlreichen Antisemitismus-Debatten. Ein ganzes Kapitel widmet sich dem merkwürdigen Leben der Juden in der DDR, ein anderes den Herausforderungen und Chancen durch den Zustrom jüdischer Migranten nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten. Dann ist Guez in der Gegenwart angekommen, diskutiert Hohmann, Möllemann und Walser, bringt sie in Verbindung mit dem »neuen Nationalstolz« und der deutschen »Viktimisierung«, wie Maxim Biller das im Buch nennt. »Hätte ich das Buch heute geschrieben, würde die Islamismus-Debatte auch vorkommen, ohne Frage«, sagt Guez.
Heimkehr der Unerwünschten kommt ohne Sentimentalitäten aus. Denn Olivier Guez erzählt nicht seine eigene Geschichte: Für den 1974 in Straßburg geborenen Historiker und Journalisten, dessen Vater aus Tunesien stammt, handelt es sich vor allem um ein interessantes Forschungsobjekt, bearbeitet ohne politische oder persönliche Agenda.
Im französischen Original heißt das Buch L’Impossible Retour, die unmögliche Rückkehr. Am Ende steht die Erkenntnis, dass diese Rückkehr in vollem Gang ist. Das ist das eigentliche Thema: das Ringen um eine neue deutsch-jüdische Identität. »Geht nicht«, sagt Maxim Biller. »Geht sehr wohl«, sagt Michael Wolffsohn. »Die russischen Jungs an der jüdischen Heinz-Galinski-Schule lesen Zweig und Feuchtwanger«, sagt Guez. So sieht es aus, das deutsche Judentum.
Olivier Guez: »Heimkehr der Unerwünschten. Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945«. Übersetzt von Helmut Reuter. Piper, München 2011, 409 S., 22,95 €