In einer Familie reißen nach dem Suizid des Vates und Großvaters tiefe Gräben auf. Vor allem Sohn Andreas, gespielt von Christian Berkel, hadert mit dem finalen Schritt; Andrea Sawatzki gibt seine leicht labile Schwester Ulrike. Das Erste zeigt das feinfühlige Drama am Mittwoch um 20.15 Uhr. Anders als ihre Filmfiguren scheinen Sawatzki und Berkel im kontinuierlichen Dialog miteinander zu stehen, was sich während des Interviews bemerkbar macht. Immer wieder fällt einer dem anderen ins Wort, führt sie einen seiner Gedanken zu Ende, signalisiert er Zustimmung. Und es wird viel gelacht.
Wie sind Sie zu dem Stoff für »Querschuss« gekommen?
Christian Berkel: Initialzündung war ein Zeitungsartikel. In dem ging es um Selbsttötung und die Frage, welche gesellschaftliche Gruppe die höchste Suizidrate hat. Die Antwort fanden wir beide verblüffend: Männer über 75. Wo man denkt: Wenn jemand es bis dahin geschafft hat - salopp gesprochen -, dann schafft der doch auch noch den Rest. Aber es ist offensichtlich nicht so. Der andere Punkt war: Uns hat es gereizt, zu gucken, was passiert in so einem Fall mit einer Familie, die sich bis dahin als relativ gesund erlebt hat. Damit sind wir auf die Drehbuchautorin Esther Bernstorff zugegangen.
Was steht für Sie im Vordergrund: der Suizid des Vaters oder die Geschichte der Hinterbliebenen?
Andrea Sawatzki: Ich habe eine große Affinität zu alten Menschen - vielleicht, weil ich selbst mit einem sehr alten Vater aufgewachsen bin. Ich habe mich bei »Querschuss« deshalb vor allem gefragt, was ist in diesem alten Mann vorgegangen? Er ist in dieser Generation des Schweigens groß geworden, mit dieser Unfähigkeit, über die eigenen Schmerzen zu sprechen oder das, was einen bewegt. Weil man das nie durfte, nie gelernt hat. Wie schrecklich muss das sein. Dass dieses Schweigen dann auch generationenübergreifend weitergegeben wird, wenn man es nicht durchbricht - das ist der Kern des Films.
Berkel: Ja. Dieses Geschwisterpaar kommt auf unterschiedliche Weise nicht damit zurecht, sie sind die Opfer dieses Schweigens. Die einzige Kommunikation, bei der das Schweigen zumindest partiell vom Großvater durchbrochen wird, ist mit dem Enkel. Das erlebt man häufiger: Zwischen Großeltern und Enkeln, da geht manchmal das Gespräch. Vielleicht, weil das etwas freier ist. Aber von der einen Generation zur nachfolgenden, das ist auch in unserer Altersklasse oft noch schwierig. Wir versuchen, das etwas besser zu machen - werden wir dann später sehen, ob’s gelungen ist (lacht).
Sawatzki: Aber wir beide waren auf jeden Fall gefährdet. Weil unsere Eltern eben auch nicht gesprochen haben.
Der Stoff hat Sie also auch persönlich berührt.
Sawatzki: Ja. Weil wir viele Jahre an uns gearbeitet haben, dieses Schweigen zu durchbrechen - auch unabhängig voneinander.
Berkel: Lange ist es uns gar nicht so bewusst gewesen, dass das für uns beide ein sehr zentrales Thema ist. Auch in unseren jeweiligen Romanen: Dort ist das Schweigen zwischen den Generationen das Hauptthema.
Wie stehen Sie zum Thema Suizid? Haben Sie Verständnis dafür, dass das jemand seiner Familie »zumutet«?
Sawatzki: Ich habe dafür Verständnis. Ich glaube, dass der Vater im Film gar nicht in der Lage war, darüber nachzudenken. Es muss so eine Einsamkeit, Verzweiflung und auch ein Gefühl des Versagens sein, wenn man auf Fragen keine Antworten findet. Man sagt, dass Suizid auch eine große Aggression gegenüber den Hinterbliebenen ist - und das stimmt. Aber in diesem Fall überwiegt für mich das Bild des Aufgebens, das finde ich sehr schmerzhaft.
Berkel: Ich glaube, beide Positionen sind nachvollziehbar. Das erzählt der Film anhand des Geschwisterpaars. Die Ulrike argumentiert im Grunde genauso, wie du es gerade getan hast, Andrea.
Sawatzki (lacht): Ja, stimmt.
Berkel: Während Andreas mit heftigem Unverständnis und Nicht-akzeptieren-wollen reagiert. Diese Aspekte, die hier auf zwei Figuren verteilt sind, wird’s wahrscheinlich in jedem widerstreitend geben. Deswegen war es so wichtig, nicht zu erklären, warum der Vater das getan hat. Eine monokausale Antwort ist ja das, was Andreas sucht. Aber die gibt es eben nicht. Soweit ich weiß, ist der Mensch das einzige Lebewesen, das die Entscheidung zum Sterben treffen und umsetzen kann - aber hat er auch das Recht dazu? Das ist eine komplexe Frage; ich würde mich nie trauen, eine eindeutige Antwort zu geben. Das ist sicher von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten.
Die Figuren in »Querschuss« haben etwas Durchlässiges - empfinden Sie das als Geschenk oder als Herausforderung?
Berkel: Auf jeden Fall beides - die Herausforderung ist eigentlich das Geschenk. Dass man sich beim Spielen durchlässig machen, öffnen und verletzbar sein muss. Da kommt man immer an Punkte, die man eigentlich nicht veröffentlichen will. Aber das ist gerade das Spannende an diesem Beruf: dass wir immer wieder diese Scham durchbrechen müssen. Interessanterweise passiert dann eben nicht das, wovor man sich fürchtet. Auch im Privaten: In dem Moment, wo Menschen sich öffnen, wenden sich die meisten nicht ab, sondern öffnen sich ebenfalls.
Sawatzki: Das ist die große Kunst, die dieses Drehbuch beherbergt: dass man als Schauspieler soviel Raum hat. Wo man spürt, man kann so spielen, dass sich ganz viele Möglichkeiten der Interpretation bieten. Das kann die Esther einfach.
Apropos Scham: Es gibt eine Szene, in der Andreas in der Badewanne sitzt und seine Frau fragt: »Kannst Du mich auch lieben, wenn ich schwach bin?«. Ein ungewohnt verletzlicher Moment, gerade für eine männliche Figur. Wie war das für Sie, Herr Berkel?
Berkel: Riesenthema, Stichwort »Neue Männlichkeit«. Aber das sind Schlagworte, Floskeln. Letztlich müssen die Geschlechter versuchen, das neu auszubalancieren. Das ist in jeder Beziehung die Herausforderung: die eigenen Rollen zu finden und zu definieren. Da gibt’s nicht die eine Antwort, das ist ein Prozess. Und wenn über Jahrhunderte eine Rollenverteilung da ist, die zum Beispiel vom Mann Stärke einfordert, dann ist es zwar leicht gesagt: »Öffne dich doch!« oder: »Lass mal Weichheit oder Schwäche zu!«. Aber ganz so einfach ist es nicht. Es ist nicht gesagt, dass das gesellschaftlich wirklich akzeptiert wird.
Aber Sie sagten selbst, dass Sich-öffnen letztlich meist auf positive Reaktionen trifft...
Berkel: Das stimmt. Das Risiko sollte man wohl eingehen. Frei nach Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Im Film geht es um Einsamkeit, Abhängigkeit, Würde im Alter. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie Sie im Alter leben wollen?
Sawatzki: Das Erlebnis mit meinem Vater, den ich ja mit 14, 15 Jahren in seiner Alzheimer-Erkrankung pflegen musste, das gab mir mein Leben lang zu denken. Was passiert, wenn ich krank werde, mein Gedächtnis verliere? Die Erfahrung hat sich dann mit meiner Mutter quasi noch einmal wiederholt.
Ich glaube, wenn man es gut anstellt, wäre es möglich, mit guten Freunden eine WG zu gründen. Wir mit unseren spanischen Freunden. Die sind relativ feierwütig, da vergisst man hoffentlich auch den ein oder anderen Schmerz (lacht). Wir haben mit denen schon darüber gesprochen. Ob wir es umsetzen können, hängt dann natürlich auch von unserem geistigen Zustand ab. Aber das wäre für uns eigentlich die Traumvorstellung.
Berkel: Es fällt auf, dass wir als Gesellschaft mit zwei Gruppen wenig anfangen können: Kindern und Alten - also den Gruppen, die nicht im Produktionsprozess »gebraucht« werden. Bei Kindern sagt man, gut, die werden wir noch brauchen, insofern müssen wir uns ein bisschen kümmern. Aber die anderen, die brauchen wir nicht mehr. Dieses Verständnis von Leben und Gesellschaft ist fatal. Will gerade eine Gesellschaft, die auch prozentual gesehen immer älter wird, das einfach abspalten? Das wird nicht funktionieren, wir werden dazu eine Haltung entwickeln müssen. Aber ich bin bei deinem Programm dabei, Andrea.
Sawatzki: Gibt auch guten Rotwein! (beide lachen)
Sie drehen regelmäßig gemeinsam. Was mögen Sie daran?
Sawatzki: Ich finde es immer wieder völlig überraschend, in Christian einen anderen Menschen zu sehen - und zwar nicht als Andrea, sondern selbst als Figur. Man spielt mit jemandem, den man zu kennen glaubt, der aber auch ein ganz anderer Mensch ist. Das ist ein bisschen verrückt, eine andere Welt...
Berkel: Es ist der Luxus des Sich-fremd-werden-dürfens. In einem geschützten, definierten Raum. Die Erfahrung machen wahrscheinlich die meisten Paare: Es gibt die eine Ebene, auf der man sich immer vertrauter wird. Aber es gibt auch die, auf der man mehr entdeckt, das man nicht kennt...
Sawatzki: Ja!
Berkel: ... auf der man sich fremder wird. Und dieses Fremder-werden positiv begreift: Man kennt den anderen nie ganz. Man kennt sich ja selber auch nicht ganz.
Sawatzki: Ich fand es zum Beispiel hier im Film wunderschön, einen Bruder zu haben, da ich Einzelkind bin. Ich dachte während des Spiels, weil ich Christian wirklich als meinen Bruder wahrgenommen habe: So einen Bruder hätte ich gerne gehabt. (Berkel lacht) Vielleicht ein bisschen weniger kompliziert als im Film, aber er wäre ein Bruder gewesen, dem ich mich gerne anvertraut hätte. Diese ganz andere familiäre Ebene die hat mich umgehauen - das war so neu und so schön.
»Querschuss«. Regie: Nicole Weegmann. Das Erste, Mi 12.02., 20.15 bis 21.45 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.