Vor fünf Jahren gewann er bei der Berlinale einen Silbernen Bären für die beste Regie, vor einem Jahr in Cannes, dem wichtigsten Filmfestival der Welt, eine Palme für das beste Drehbuch, und vielleicht hält er am Wochenende den Oscar in der Hand: Joseph Cedars Film Footnote (»Hearat Shulayim«), für den er in der Kategorie »Bester Ausländischer Film« nominiert ist, ist eine sarkastische Familienkomödie über einen Vater-Sohn-Konflikt, die sich aber auch über die Welt und die Rituale der Wissenschaft mokiert – im Zentrum steht immerhin ein Professor für Talmudstudien. Footnote erzählt auch viel über das Israel von heute und entfaltet ein moralisches Dilemma: Gibt es Dinge, die wichtiger sind als die Wahrheit? Eine Frage, die weit über diesen Film hinausreicht.
»Natürlich ist es die ethische Botschaft meines Films, dass absolute Wahrheit unmöglich ist, dass es Wichtigeres gibt«, erklärte der Regisseur vergangenes Frühjahr im Gespräch mit dieser Zeitung: »Wir alle leben in der Lüge.« Vielleicht müsse das so sein, aber quälend sei es trotzdem.
philosophie Das israelische Kino ist derzeit so stark wie seit Jahren nicht. Dafür stehen Festivalerfolge der letzten Jahre wie Waltz with Bashir, Lebanon oder gerade erst auf der Berlinale Soldier/Citizen. Und das Werk von Cedar, der bereits 2008 mit Beaufort für einen Oscar nominiert war.
Joseph Cedar wurde 1968 in New York geboren. Im Alter von sechs Jahren zog die Familie nach Israel. Sein Vater ist Universitätsprofessor, daher ist ihm die akademische Szenerie seines letzten Films sehr vertraut. »Ich kenne den Menschenschlag, die Art, sich zu benehmen, zu sprechen, die Machtkämpfe hinter der formalen Freundlichkeit.«
Cedar selbst hat ebenfalls akademische Erfahrungen. Bevor er Filmregisseur wurde, studierte er Philosophie und Theaterwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. Das Philosophiestudium und die Lust an der dramatischen Zuspitzung merkt man auch seinen Filmen an. Sein Regiedebüt, der Thriller Time of Favor, verknüpft eine Liebesgeschichte mit der Frage, welche religiösen Gruppen das Recht haben, auf dem Tempelberg von Jerusalem zu beten, und der Geschichte eines fanatischen jungen orthodoxen Juden, der ein Attentat plant.
Cedars zweiter Film Ceasefire (2004) spielt 1981 und verbindet eine dichte Innenansicht des Nahostkonflikts mit universalen Themen. Erzählt wird von einer Witwe mit zwei Töchtern im Teenageralter, die in eine Siedlung in Westjordanland ziehen. Auf unterschiedliche Weise begegnen die drei der für sie neuen Welt der Siedler, sie fühlen sich angezogen wie abgestoßen. Die unaufdringlich formulierte Botschaft des Films ist, dass in jeder Gemeinschaft am Ende die repressiven Züge überwiegen und der Einzelne besser Abstand zur Gruppe hält – eine Provokation in Zeiten von Bushs Krieg gegen den Terror und der Endphase von Ariel Scharons Regierungszeit.
Berlinale 2007 folgte Beaufort, mit dem Cedar auf der Berlinale und damit zum ersten Mal in einem »A-Wettbewerb« vertreten war. Cedar erzählt hier die Geschichte des erst 22-jährigen Kommandeurs eines Militärstützpunkts nahe der uralten südlibanesischen Kreuzfahrerfestung Beaufort, mit deren Sprengung im Jahr 2000 18 Jahre israelischer Besetzung zu Ende gingen. Die Zahal-Einheit muss auf ihrem Außenposten ausharren und wird dabei von ihren unsichtbar bleibenden Feinden langsam aufgerieben.
Ein nervenzerfetzender Psychothriller über tagelanges Warten, ein wagemutiges Unterfangen im Kino. Cedar studiert die Gesichter, die Gesten, das Verhalten von Männern, die Zielscheiben der Feinde sind. Es geht darum, wie sich der Krieg auf die Soldaten auswirkt und nicht, ob die »gute« oder die »böse« Seite gewinnt. Der Film nach dem Roman von Ron Leshem gewann den Silbernen Bären der Berlinale für die beste Regie und wurde 2008 für den Auslands-Oscar nominiert.
ängste In Footnote ist der Nahostkonflikt erstmals völlig an den Rand gedrängt. Nur in der Paranoia der Hauptfigur, in der Hysterie dieser dysfunktionalen Familie mag man Reflexe politischer und sozialer Verhältnisse sehen. Eines allerdings verbindet diese neueste Arbeit Cedars mit seinen früheren. Das untergründige Thema aller seiner Filme ist Angst und deren Verdrängung im israelischen Alltagsleben. In einem Interview hat der 43-jährige orthodoxe Jude einmal von seinem Vater erzählt. Er sei »in Watte gehüllt« aufgewachsen und habe, bis er 14 war, nicht allein die Straße überqueren dürfen. Joseph Cedar aber liebte die Gefahr. Er hat, wie seine drei Brüder, bei der Armee in einer Kampfeinheit an der Front gedient. »Was habe ich falsch gemacht?«, habe sein Vater einmal gefragt, erzählt er: »Warum habt ihr niemals Angst?« Dabei sei er selbst im Grunde viel ängstlicher als seine Eltern.
Am Sonntag in Los Angeles ist Cedar nicht der Favorit. Die Buchmacher geben ihm nur gewisse Außenseiterchancen, genauso wie der polnischen Regisseurin Agniezka Holland mit ihrem Schoa-Drama In Darkness. Ganz vorne liegt der iranische Film Nader and Simin von Asghar Farhadi. So oder so aber ist Joseph Cedar jetzt schon einer der künstlerisch erfolgreichsten Regisseure in Israels Filmgeschichte.