Er malte Landschaften. Zuerst ein wenig düster. Doch bald hellten sich die Farben auf. Das Licht bestimmte das Motiv. Es reflektiert nicht den Eindruck, sondern wurde zum Ausdruck. Das war neu. »Vater der Impressionisten« hat man Camille Pissarro (1830–1903) deshalb genannt. Auch weil er als Einziger an allen acht Ausstellungen der Impressionisten teilnahm. Und weil er, etwa zehn Jahre älter als seine Malerkollegen, als Anreger, Ermunterer und Organisator die Gruppe zusammenhielt, sie von der Notwendigkeit, gemeinsam auszustellen, überzeugte.
Diese Entwicklung zeichnet jetzt eine Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum nach. Gezeigt werden dort bis zum 22. Februar 2015 rund 70 Gemälde Pissarros, ebenso viele grafische Arbeiten und – als Ergänzung und Erweiterung – etwa 30 Gemälde seiner Zeit- und Weggenossen.
politik Es sind vorwiegend Ansichten der Natur, anfangs im Stile der Schule von Barbizon. Später kommen Plätze und Straßen in Paris hinzu. Akte, das verschweigt die Ausstellung nicht, gehörten nicht zu Pissarros Stärke. Auch die Stillleben, insgesamt sind lediglich 32 bekannt, waren eher Gelegenheitsarbeiten. Und bei Porträts beschränkte er sich mit intimen Formaten weitgehend auf seine Familie und seine nähere bäuerliche Umgebung.
Der Maler zog die kleinen Orte an der Peripherie Paris vor. Was er da malte, verachtete den Zeitgeschmack, die Schönmalerei, die den »Salon« beherrschte. Pissarro war überzeugt: »Das Neue findet sich nicht im Sujet, sondern vielmehr in der Art, es darzustellen.« Nur hatte dieses Neue lange Zeit kaum einen Markt, sodass der Maler lange Jahrzehnte stets in Geldnöten war. Das mag aus heutiger Sicht verwundern, weil diese Bilder eine freundliche, anheimelnde Welt jenseits aller politischen und sozialen Malaisen der Zeit spiegeln.
Dabei war Camille Pissarro allerdings kein unpolitischer Mensch. Er sympathisierte mit den Sozialisten und Anarchisten, war Anhänger der Pariser Commune. Ausdruck fand das jedoch nur in der Zeichnungsserie »Turpitudes Sociales«, den »Sozialen Schandtaten« von 1889/90, auf deren Titelblatt über dem Eiffelturm die Sonne »Anarchie« aufgeht. Drucken ließ Pissarro diese Bilderfolge allerdings nicht.
Jenseits seiner Malerei handelte er jedoch durchaus politisch. Er unterstützte, als er von seiner Malerei leben konnte, die Familien verhafteter Anarchisten. Und als die Affäre Dreyfus nicht nur Frankreich, sondern auch den Kreis der Impressionisten spaltete, nahm er klar für den zu Unrecht verurteilten jüdischen Hauptmann Stellung.
judentum Das hing mit seiner eigenen jüdischen Herkunft zusammen. Sein Vater, Abraham-Gabriel (Frédèric) Pizarro, stammte aus einer sefardischen Familie, die von Portugal nach Bordeaux geflüchtet war. Seine Mutter Rachel kam von der Antilleninsel Dominica. Geboren wurde Jacob Abraham Pizarro, so sein Geburtsname, in Charlotte Amalie in Dänisch-Westindien, den heutigen Amerikanischen Jungferninseln. Mit zwölf Jahren schickten ihn die Eltern in ein Internat in Passy vor Paris.
Zurückgekehrt in die Heimat, sollte er dort das elterliche Eisenwarengeschäft übernehmen. Doch er entschied sich für die Malerei, ging mit einem Malerfreund für 21 Monate nach Venezuela, kehrte wieder nach Charlotte Amalie zurück, ehe er dann, nun mit Billigung seiner Eltern, nach Paris ging, um Maler zu werden. Pissarros Geburtshaus ist inzwischen ein kleines Museum unweit des Weibel-Museums, das die Geschichte der Juden auf Saint Thomas dokumentiert.
Über die Bedeutung, die das Judentum für Pissarro hatte, gibt es erst Zeugnisse aus seinem letzten Lebensjahrzehnt. Das hängt mit der Dreyfus-Affäre und dem Antisemitismus zusammen, der zur damaligen Zeit Frankreich überschwemmte. Als dänischer Staatsbürger, der er in all seinen Jahren in Frankreich blieb, und als Jude fühlte sich Pissarro plötzlich ungewollt als Außenseiter. 1899, nach der ersten Revision des Urteils gegen Dreyfus, schrieb er besorgt seinem Sohn Lucien: »Wenn hier nur nichts dazwischenkommt, denn es wird schon von der Austreibung der Juden geredet. Das wäre doch ein Höhepunkt!!!«
ausgegrenzt Isoliert fühlte er sich auch unter seinen impressionistischen Weggenossen. Cézanne, Renoir und Degas zählten zu den Anti-Dreyfusards. Degas, der lange als einer der besonders engen Freunde Pissarros galt, soll Renoir – wie dessen Sohn Jean berichtete – gefragt haben: »Wie können Sie noch immer mit einem Juden verkehren?« Auch wird berichtet, Degas habe fortan die Straßenseite gewechselt, um eine Begegnung zu vermeiden.
Renoir selbst bezeichnete die Familie Pissarro als Teil »jener jüdischen Rasse von geizigen Weltbürgern und schlauen Krämerseelen, die nur nach Frankreich kamen, um Geld zu machen«. Gegenüber ihrem gemeinsamen Kunsthändler Durand-Ruel verwahrte Renoir sich gegen eine gemeinsame Ausstellung: »Wenn ich mich mit dem Juden Pissarro umgebe, so bedeutet das Revolution«, und eine Revolution wolle sein Publikum nicht.
Die Rehabilitierung und Beförderung von Dreyfus zum Major 1906 hat Pissarro nicht mehr erlebt. Im November 1903 starb er in Paris, inzwischen anerkannt und ordentlich bezahlt. Der Antisemitismus, dem er ausgesetzt war, endete nicht mit dem Tode des Malers. Nach 1933 ließen ihn anerkannte Kunsthistoriker wie Karl Scheffler einen zweiten Tod erleiden. Von da an kam Pissarro jahrelang in deutschen Büchern über den Impressionismus nicht mehr vor.
»Pissarro – Der Vater des Impressionismus«. Von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 22. Februar 2015
www.pissarro-ausstellung.de