Offiziell erhielt die Hallesche Universität am 10. November 1933, am 450. Geburtstag des 1483 geborenen Martin Luther, den Namen Martin-Luther-Universität in einer Urkunde. Die Urkunde war unterschrieben von dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten, dem Nazi Hermann Göring, und dem damaligen Kultus- minister, dem Nazi Bernhard Rust.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Martin Luther hatte eine riesige Autorität als sogenannter »Großer Deutscher«. Seine judenfeindlichen Schriften mit der Aufforderung, Synagogen anzustecken und die Juden zu verjagen, wurden von den Nazis in Zeitschriften und in einer Fülle von Broschüren ausgiebig genutzt. Solche Broschüren hatten Titel wie Luthers Kampf gegen die Juden, Bekenntnis Luthers zur Judenfrage, Luther und die Juden (alle 1933), Luthers Kampfschrift gegen das Judentum (1935), Dr. Martin Luther wider die Jüden (1936) oder Juden – Mönche – Luther (1937).
Pogrom Nach solcher Vorarbeit erinnerten die Nazi-Ideologen am Tag nach dem Pogrom vom 9. auf den 10. November 1938 genüsslich daran, dass die Nazis und ihre Anhänger mit den brennenden Synagogen in Deutschland nun wahr gemacht hätten, was Luther schon 1543 in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen gefordert habe.
Der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach schrieb im Vorwort zu seiner Broschüre Martin Luther und die Juden – Weg mit ihnen!: »Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird ... die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.
In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.«
Auch nach 1945, auf der Anklagebank in Nürnberg, erklärte der Herausgeber des »Stürmer«, Julius Streicher, am 29. April 1946 ähnlich: »Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch in Betracht gezogen würde. In dem Buch Die Juden und ihre Lügen schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezüchte, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.«
Agitation Eine gewisse Logik hat diese primitive Agitation, wenn wir uns vergegenwärtigen, was Luther, der sich zunächst gegen die bösartige Judenfeindschaft der Päpste 1523 in seiner Schrift Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei gewendet hatte, wirklich dann in dieser Schrift Von den Juden und ihren Lügen 1543 geschrieben hatte. Dort heißt es: »Dazu wissen wir noch heutigen Tages nicht, welcher Teufel sie hier in unser Land gebracht hat. Wir haben sie zu Jerusalem nicht geholet. Zudem hält sie noch jetzt niemand, Land und Straßen stehen ihnen offen, mögen ziehen in ihr Land, wenn sie wollen, wir wollten gern Geschenk dazu geben, dass wir ihrer los wären.«
Und es folgten weitere brutale Passagen: »Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke … Zum anderen, dass man auch ihre Häuser des gleichen zerbreche … Dafür mag man sie unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner. Zum dritten, dass man ihnen nehme all ihre Betbüchlein und Thalmudisten ... Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfurt zu lehre.«
Das war kein Ausrutscher. Die Beispiele seiner judenfeindlichen Passagen lassen sich leicht vermehren. Auch seine Aufforderung, behinderte Kinder zu töten, seine Äußerungen über Türken und Frauen sind fürchterlich.
Das häufig apologetisch genutzte Argument, oft genug von Historikern und auch Theologen vorgebracht, man müsse das alles »aus der Zeit heraus verstehen«, wurde von Friedrich Schiller bereits ausgehebelt. Er schrieb in den Ästhetischen Briefen: Jeder ist »Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist«. Luther hat sich an die judenfeindlichen Positionen der katholischen Kirche angepasst und sie sogar noch übertroffen.
Zeichen Im Jahr des Reformationsfeiertages 2017 erinnert der Studentenrat der Universität in Halle daran, dass im Kontext gerade der aktuellen Entwicklung in Deutschland die Umbenennung dieser Universität ein dringendes Zeichen wäre. Die NPD hatte im Bundestagswahlkampf auf großen Plakaten mit Luthers Bild verkündet: »Ich würde NPD wählen.« Bei allen formalen Zugeständnissen bei den vielen Feiern zu Luther und dem Reformationstag 2017: Es ist eine Tatsache, dass die Judenfeindschaft Luthers dennoch, wenn sie überhaupt zugegeben wird, bagatellisiert wird.
Micha Brumlik hat den Vorschlag ins Spiel gebracht, die Universität nach dem ersten afrikanischen Dozenten in Deutschland, der an der Halleschen Universität lehrte, zu benennen: Anton Wilhelm Amo. Er wurde 1703 als Sklave im heutigen Ghana geboren und als Kind nach Amsterdam verschleppt. Dann wurde er als sogenannter Kammermohr »verschenkt« und vererbt und landete so beim Fürsten von Braunschweig-Wolfenbüttel, August Wilhelm, der ihn taufen und konfirmieren ließ.
Aufklärung Der Fürst sah sich als Humanist und organisierte Amos hervorragende Ausbildung, sodass er mit Kenntnissen – neben Deutsch – in Französisch, Griechisch, Hebräisch und Latein ab 1727 an der Universität Halle Philosophie und Rechtswissenschaft studierte. Er bemühte sich nach Kräften, im Geiste der Aufklärung gegen Rassismus vorzugehen. In Halle verfasste er auch in lateinischer Sprache die Schrift Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa. Er promovierte und lehrte von 1736 bis 1738 an den philosophischen Fakultäten der Universitäten Halle und Wittenberg, ab 1739 auch an der Universität in Jena.
Damals wurde er wegen seiner Hautfarbe verspottet, insbesondere, als 1747 ein Heiratsantrag von ihm bekannt wurde. Ein Professor aus Halle veröffentlichte das rassistische Spottgedicht »Herrn M. Amo zu Jena. Eines gelehrten Mohren, galanter Liebes-Antrag an Mademoiselle Astrine, eine schöne Brünette«. Es hielt Wilhelm Anton Amo nichts mehr in Deutschland, er reiste nach Ghana und verstarb dort – vermutlich 1784. In Halle erinnert immerhin seit 1965 eine Statue am Universitätsring an ihn.
Bekannt ist das Wirken dieses mutigen Gelehrten in Deutschland heute nicht mehr. Umso wichtiger wäre es, wenn sich die Universität in Halle entschließen könnte, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und den nötigen Streit über »Martin Luther als Vorbild heute« durch eine Umbenennung in Wilhelm-Anton-Amo-Universität zu entscheiden.
Der Autor leitet an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main die Forschungsstelle NS-Pädagogik.