Frau Koenig, wie fühlt sich für Sie das Kochen in Corona-Zeiten an?
Ganz zu Beginn im März war es mit einem großen Unsicherheitsgefühl verbunden. Plötzlich gab es einige Zutaten nicht mehr in den Supermärkten: kein Mehl, keine Hefe. Andere Nahrungsmittel waren ebenfalls schwer zu finden – das war schon sehr beängstigend. Mittlerweile ist es schon fast wieder wie früher, mal davon abgesehen, dass meine Familie immer zu Hause ist, und das wiederum bedeutet, dass wir nicht mehr so viel unterwegs essen oder in Restaurants gehen. Es gibt andere Städte in den USA, in denen man wieder in den Restaurants essen kann, was ich für eine wirklich schlechte Idee halte. Hier in New York dürfen Restaurants nur draußen öffnen.
Als Autorin, Mutter, Köchin und New Yorkerin – wie haben Sie das vergangene halbe Jahr erlebt?
New York ist gerade einer der Orte, an denen es ganz okay ist, denn seine Einwohner nehmen die ganze Sache sehr ernst. Unsere Zahlen sind zum Beispiel sehr viel geringer als im restlichen Land. Aber zu Beginn war es furchteinflößend. Wir wurden in diese komplett unbekannte Welt geworfen, in der die Kinder plötzlich keine Schule mehr hatten. Mein Mann und ich arbeiten als Freiberufler sowieso von zu Hause, allerdings war es eine neue Situation, dass, wenn wir einen »Zoom Call« hatten, nun vielleicht auch eines der Kinder gleichzeitig betreut werden musste. Es war eine echte Herausforderung.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Es gab Momente, in denen in unserer kleinen Zweizimmerwohnung in New York mein Mann eine Musikstunde über Zoom gab, ich versuchte, einen Artikel zu schreiben, mein Sohn seinen Online-Unterricht bekam und meine kleine Tochter schlafen wollte. Das war schwierig. Wir versuchen immer noch, mit der neuen Realität möglichst gut umzugehen. Als Mutter ist es mir wichtig, dass meine Kinder sicher sind. Wir sprechen gemeinsam über alles. Aber auch bei mir ist es so eine Von-Tag-zu-Tag-Geschichte: Manchmal bin ich wirklich erschöpft, wütend und traurig, aber dann denke ich wieder: Das ist zwar hart, aber wir kommen da durch.
Sehen Sie diese Zeit auch als Chance?
Absolut! Es gibt so viel Licht am Horizont. Ich kann Zeit mit meinen Kindern verbringen. Meine Tochter ist ein Jahr alt, mein Sohn sechs, und diese Zeit ist so wichtig. Also schätze ich die Momente sehr. Sie beide in dieser Zeit täglich um mich zu haben und sie noch näher aufwachsen zu sehen, ist wirklich ein Geschenk. Auch vom professionellen Standpunkt hat es Vorteile.
Welche?
Ich bin zum Beispiel erstaunt darüber, wie intim doch ein Kochkurs über Zoom werden kann. Man kann das, was man sonst live macht, schon sehr genau nachbilden. Natürlich kann ich nicht neben jemandem stehen und genaue Anleitungen geben, aber es funktioniert. Ich bin positiv überrascht, wie gut es sich anfühlt. Für meinen Mann – er ist Musiker – ist es da schon schwerer. Live mit anderen zu musizieren, ist etwas ganz anderes. Und ich muss sagen, allein, was die Babysitter-Situation angeht, gibt es nur Vorteile. Sonst hätte ich nicht nur für die Zeit eines Kochkurses eine Betreuung gebraucht, sondern auch für die Zeit, die ich hin- und herfahren muss. Jetzt bin ich zu Hause.
Ihr neues Kochbuch ermöglicht es, durch die Welt der jüdischen Küche zu reisen. Da das eigentliche Reisen gerade etwas komplizierter ist als sonst: Wenn Sie könnten, wo würden Sie gerade gerne zum Lunch hingehen?
Ich habe für die Recherche zu meinem nächsten Buch viel Zeit in der jüdischen Gemeinde in Rom verbracht, und das wäre es jetzt: ein Glas Wein und Pasta dazu … Meine Familie und ich haben den vergangenen Sommer in Berkeley, Kalifornien, gelebt. Die Tomaten, die Pflaumen, die Pfirsiche, das würde auch passen.
In dem Vorwort zu Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Definition für jüdische Küche davon abhängt, wen man fragt. Was also ist für Sie jüdische Küche?
Juden haben in der Geschichte durchweg überall gelebt und überall gekocht, sind Nachbarn von anderen gewesen. Und das spiegelt sich in der Küche und den Kochtraditionen wider. Aber das, was für mich alles zusammenhält, ist die Frage: Warum sitzen wir gemeinsam an einem Tisch? Wir kommen zum Schabbat zusammen, zu einer Hochzeit, an den Feiertagen. Alles, was für Juden kulturelle oder religiöse Bedeutung hat, ist für mich mit der jüdischen Küche verbunden. Mein Beispiel ist immer Borschtsch …
… der kräftige und doch sehr abwechslungsreiche Rote-Bete-Kohleintopf …
… ja, in den USA, in New York denken die Leute immer, das ist ein typisch jüdisches Essen. Aber wenn man mal in die Ukraine fährt, dann heißt es immer: Das ist unser Nationalgericht!
Dies ist Ihr sechstes Kochbuch. Was gibt es Neues?
Es ist eine Art Kompendium meiner bisherigen Arbeit und eine Momentaufnahme davon, welches Essen Juden heutzutage zubereiten. Jeder soll sich – egal, woher die Familie kommt, ob sie marokkanisch-jüdisch, äthiopisch-jüdisch, mexikanisch-jüdisch ist – in diesem Buch wiederfinden. Und es richtet sich auch an ein nichtjüdisches Publikum.
Wie hat sich jüdisches Essen in den vergangenen Jahren entwickelt?
In den vergangenen zehn Jahren hat es ein komplett neues Level erreicht. Früher haben sich Leute über jüdisches Essen lustig gemacht: Es ist braun, schwer und uninteressant. Aber durch Yotam Ottolenghi und so viele andere Köche und Kochbuchautoren hat sich einiges getan.
Was hat Sie während der Recherche überrascht?
Ich würde sagen, zehn bis 15 Prozent der Gerichte waren für mich komplett neu. Es gibt so viele Traditionen in der jüdischen Küche, die irgendwie unerwähnt bleiben. Es gibt zum Beispiel ein Gericht, »Faloodeh sib«, ein Mix aus geriebenen Äpfeln, Rosenwasser und Zucker, das von persisch-iranischen Juden als Erstes nach Jom Kippur gegessen wird. Es ist wie eine Art Granita und unbeschreiblich lecker. Und ich hatte Gelegenheit, mit einer Frau aus Montreal zu kochen, die ursprünglich aus Marokko ist und »T’ajines d’artichauds farcis« zubereitete, mit Fleisch gefüllte Artischocken. Dieses Rezept war so kraftvoll, wir haben es sofort für Schabbat gekocht.
Sie haben auch ein Rezept aus Ost-Uganda. Wie kamen Sie denn daran?
Die ost-ugandische jüdische Gemeinschaft ist noch sehr jung, sie ist erst ein paar Jahrhunderte alt und daher vielleicht nicht so bekannt. Da mein Mann Musiker ist und Musik in der jüdischen Gemeinschaft eine große Rolle spielt, bin ich an die Kontakte gekommen. Für andere Rezepte habe ich live mit anderen zusammen gekocht. Und ich habe natürlich viel herumgefragt, mich nach Traditionen, zum Beispiel an Rosch Haschana oder an Schabbat, erkundigt.
Woher kommen Sie aus kulinarischer Sicht?
Die Familie meiner Mutter ist jüdisch-litauisch und jüdisch-russisch, also bin ich mit dem klassischen aschkenasischen Essen aufgewachsen. Die Familie meines Vaters ist nichtjüdisch und kommt aus Stuttgart. Und das hat meine Arbeit immer geprägt, denn meine Rezepte sollen für alle zugänglich sein.
Welchen Essens werden Sie nie überdrüssig?
Oh, also, wenn mir jemand jeden Tag Kartoffel-Latkes machen würde: Das könnte ich immer essen. Es ist so aufwendig, sie zu machen, aber sie sind einfach zu gut. Ich liebe auch ganz einfache Gemüsegerichte wie marinierte Zucchini.
Sie haben über das Zusammenkommen am Tisch gesprochen. Wie können wir uns den Tisch der Familie Koenig vorstellen?
Gerade jetzt erfüllt er vielerlei Aufgaben. Er ist der Ort, an dem meine Kinder malen, Hausaufgaben machen, an dem wir essen, auf dem sich die Post stapelt. Aber wenn er leer ist, ist er sehr einfach, und das Wichtigste für mich ist, dass wir einfach gemeinsam am Tisch zusammenkommen und essen. Da ich Rezepte entwickle, kann es sein, dass wir manchmal sehr aufwendige Gerichte essen und an einem anderen Tag einfach eine Portion Maccaroni and Cheese. Es ist eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde des Kochens.
Mit der amerikanischen Köchin und Autorin sprach Katrin Richter.
Leah Koenig: »Das jüdische Kochbuch«. Phaidon/ZS, Hamburg 2020, 432 S., 39,99 €