Torben Giese, Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Goethe-Universität, nennt es »ein Projekt aus Leidenschaft«. Wer hier mitmacht, tut das nicht, weil er dafür gute Noten oder Scheine bekommt. Die Arbeit ist zumeist ehrenamtlich, zusätzlich zum Studium und das schon über Jahre. Das ist nur etwas für Passionierte.
Die Idee hatte Giese im Wintersemester 2010/11. Große Jubiläen wie der 100. Geburtstag der Universität müssen von langer Hand vorbereitet werden. Der 35-Jährige unterrichtet in Frankfurt historisches Lernen, Theorie der Geschichte sowie Ausstellungs- und Museumstheorie.
Daneben ist er stellvertretender Direktor des Wiesbadener Stadtmuseums. Ein Mann der Praxis. Eine Ausstellung schwebte Giese daher auch für das Jubeljahr der Uni vor. Seine Studenten sollten das Thema selbst wählen, die Schau konzipieren und umsetzen. Eine praxisorientierte Übung – eine, die das Besondere der Universität herausschält.
Dunkelheit Vier Jahre später: Gedämpftes Licht fällt durch die Oberlichter in den mit dunklem Holz getäfelten Raum. Hohe, schmale Pfeiler säumen den Saal wie einen Wandelgang. »Die Fenster werden mit Folie abgedeckt. Wir brauchen Dunkelheit für unser Lichtkonzept«, sagt Alexander Hofmann.
Der blonde junge Mann mit der markanten Brille studiert Geschichte, Politik und Kunstgeschichte im fünften Semester. Zusammen mit seinen Kommilitonen Pascal Balló und Lucia Gerharz durchschreitet er das Erdgeschoss im Verwaltungsgebäude auf dem Campus Westend. Hier ist seit dem 10. April »ihre« Ausstellung zu sehen.
»Tische und Stühle stehen in einem Viereck«, deutet Hofmann auf die Mitte des Raumes. Die Möbel sind die tragenden Elemente der Ausstellung. Historische Fotos und biografische Daten sind auf den Tischplatten zu sehen – von Paul Ehrlich, Wilhelm Merton, Leo Gans, Henry und Emma Budge, von Franziska und Georg Speyer, von Arthur Weinberg oder auch Katharina und Moritz Oppenheim. Es sind sieben der 36 jüdischen Stifter beziehungsweise Stifterpaare, die vor mehr als 100 Jahren mit ihren Spenden und ihrer Vision von einem weltoffenen Studium die Gründung der ersten freien, privaten Hochschule Deutschlands möglich machten.
konfessionsunabhängig »Anfangs gab es mehrere Themenideen. Doch bei der Frage, was eigentlich das Besondere, Einzigartige dieser Universität ist, landeten wir schnell bei den Stiftern«, erinnert sich Balló. Die Motivation der Stifter damals begeisterte die Studenten heute. »Das Thema fand ich so interessant, dass ich sogar meine Examensarbeit darüber geschrieben habe«, berichtet der 28-Jährige, der inzwischen sein Lehramtsstudium für Geschichte und Politik abgeschlossen hat, aber trotzdem bei dem Projekt blieb.
Die Studenten haben die Weltoffenheit, Toleranz, Zukunftsorientierung und Wohltätigkeit der jüdischen Gönner in den Vordergrund gestellt, berichtet Lucia Gerharz, Geschichtsstudentin und Managerin der Ausstellung. 36 der 60 Stifter waren jüdischer Herkunft. Sie spendeten 66 Prozent des rund acht Millionen Mark umfassenden Gründungskapitals. Wichtig war ihnen vor allem eines: Es sollte an einer freien, konfessionsunabhängigen Hochschule gelehrt und geforscht werden.
Es war ein Novum, dass es keine theologische Fakultät gab. Neu in Deutschland waren auch die Fakultäten Wirtschafts- und Naturwissenschaften. Die Hochschule sollte jedem eine Chance bieten, auch jüdischen und katholischen Lehrkräften, die es bis dato schwer hatten, eine Anstellung zu finden. »In Paragraf vier und 11 der Denkschrift, des Statuts der Hochschule, behielten sich die jüdischen Stifter explizit Mitspracherechte vor«, sagt Balló – etwa bei der Besetzung der Lehrstühle.
Vorbilder Die wenigsten Studenten konnten vorher mit den Namen der Stifter etwas anfangen. »Wir kannten vielleicht vier oder fünf«, so Lucia Gerharz. Aus den 36 haben sich die sieben Studenten der Gruppe ihre »Vorbilder« herausgesucht. Pascal Balló – seine Kommilitonen nennen ihn das »Hirn« der Ausstellung – hat Wilhelm Merton gewählt. Merton war der Lenker eines damals weltweit agierenden Edelmetall-Unternehmens, der auch der Kopf der Frankfurter Universitätsbewegung und der jüdischen Stifter war. Alexander Hofmann suchte sich Paul Ehrlich aus, Nobelpreisträger und Vater der Immunologie. »Sein Mut und sein Forscherdrang haben mich fasziniert«, sagt er.
Monatelang recherchierten die Studenten, verfassten Kurzbiografien. Nachlesen können die Besucher diese an den Tischen. Man darf Platz nehmen in der Ausstellung. Die 36 Stühle übrigens sind ebenfalls Stiftungen. Sie stammen aus Privat- oder Firmenbesitz und haben alle einen Bezug zur Goethe-Uni. Einen davon haben Nachfahren von Mathilde von Marx – ebenfalls eine der 36 Stifter – gespendet.
Universitätssprecher Olaf Kaltenborn lobt den studentischen Beitrag zum Centenarium. Die jüdischen Stifter hätten 1914 eine entscheidende Rolle gespielt und ein innovatives Klima geschaffen, das die Universität vorangebracht habe, sagt er. Das endete 1933 jäh. Ein Drittel der Professoren waren Juden. Sie wurden entlassen, vertrieben, ermordet. Mit ihnen, den »verlorenen Denkern«, befasst sich ein weiteres Jubiläumsprojekt.
Die vormals so verdienten Stifter traf der Nationalsozialismus mit ganzer Wucht. Katharina und Moritz Oppenheim etwa schieden am 9. Juni 1933 gemeinsam aus dem Leben. Sie wollten »voller Würde dem Versuch entgehen, sie als Menschen minderen Grades zu brandmarken«.
Die Ausstellung »36 Stifter für eine Idee« ist noch bis zum 26. Oktober, Mo bis Fr 11–17 Uhr, im PA-Gebäude, Campus Westend, Goethe-Universität Frankfurt, zu sehen.