Cannabis

Am Israel High

Eine Ausstellung sorgt derzeit für Furore in New York: Am Yisrael High: The Story of Jews and Cannabis beleuchtet die jahrtausendealte Bindung zwischen Juden und Cannabis. Wie bitte? Eine jahrtausendealte Verbindung? Die aufwendige Schau im renommierten »YIVO Institute for Jewish Research« sorgt, um im Bild zu bleiben, historisch und sozialgeschichtlich für mächtig Dampf.

Im Tempel von Tel Arad, rund 95 Kilometer von Jerusalem entfernt, da sind sich die Wissenschaftler sicher, wurde vor 2700 Jahren ordentlich gekifft. Oder, wissenschaftlich etwas adäquater formuliert: Gut erhaltene Substanzen, die 2020 auf zwei Kalkstein-Altären gefunden worden waren, wurden zweifelsfrei als Cannabis identifiziert. Auf einem der Altäre waren noch Spuren von THC (Tetrahydrocannabinol), dem wichtigsten Wirkstoff in Marihuana, vorhanden. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass das Verbrennen des Cannabis zu Rauschzwecken bei den Gottesdiensten erfolgt sei.

Psychotrope Substanzen wurden in Ritualen des frühen Judentums benutzt.

Damit gelang der erste Nachweis, dass sogenannte psychotrope Drogen – also Wirkstoffe, die die menschliche Psyche beeinflussen – in Gottesdienstritualen des frühen Judentums benutzt wurden. Der Tempel von Arad war in den 60er-Jahren entdeckt worden. Der andere der beiden Altäre enthielt zudem Reste des damals ebenfalls populären Weihrauchs.

Mindestens so spannend wie der eigentliche Fund war die Erkenntnis, die die Forschenden daraus zogen: Auch im Tempel von Jerusalem hat Cannabis bei den religiösen Ritualen wahrscheinlich eine Rolle gespielt. Denn der Tempel von Arad an der Südgrenze des Königreiches Juda, als Teil einer Festung ebenfalls auf einem Hügel gelegen, gilt als kleinere Version des Ersten Tempels in Jerusalem.

Bong Für Eddy Portnoy begann alles mit einer Bong. Das ist ein beliebtes Accessoire, das dem Cannabis- oder Haschischraucher eine stärkere Wirkung seines Stöffchens verschafft, indem es die Wirkstoffe mit sehr hohem Druck in die Lungen transportiert.

»Ich sah online das Bild einer wirklich wunderschönen Bong in Form einer Menora«, erzählte Portnoy dem New Yorker Magazin »Gothamist«. Wie viele andere auch hatte Portnoy auf dem College mit Marihuana-Rauchen begonnen. Im Lauf der Jahre hatte sein Interesse an der Droge allerdings nachgelassen. »Es kann gut sein, dass ich aus jenen Jahren noch THC in meinem Körper habe, aber ich kiffe wirklich nur noch ganz selten.«

Allerdings ist Portnoy als akademischer Berater und Kurator des »YIVO Institute for Jewish Research« in Manhattan stets auf der Suche nach skurrilen Gegenständen der materiellen jüdischen Kultur. Diese Menora-Bong jedenfalls beflügelte seine Fantasie. Daraus wiederum entstanden zwei Jahre der Forschung und Recherche. Deren Ergebnis ist jetzt in der Ausstellung in New York zu sehen.

Erzählt wird die bisher weithin unbekannte gemeinsame Geschichte von Juden und Cannabis.

Erzählt wird die bisher weithin unbekannte gemeinsame Geschichte von Juden und Cannabis. Die geht von Erwähnungen im Talmud bis zum jüdischen Anteil an der Legalisierungsbewegung und der modernen Gegenkultur, die den freien Gebrauch von Cannabis und Co. propagierte.

Mit seinen langen Haaren, die ihm bis auf die Brust fallen, entspricht Portnoy perfekt dem klassischen Klischee des »Haschbruders«, wie es in Deutschlands keineswegs so liberalen 70er-Jahren allerorten hieß. Portnoy ist promoviert in Jüdischer Geschichte und als Forscher zu Themen jüdischer Populärkultur höchst angesehen. Ob er während der Recherchen »inhaliert« hat oder nicht, ist nicht überliefert.

Aber Portnoy hat intensive Forschungen zu den Wechselbeziehungen zwischen den Juden und Marihuana betrieben. »Juden konsumieren seit Jahrhunderten Cannabis«, sagt Portnoy. »Hätte ich das zu Zeiten meines Hebräisch-Unterrichts gewusst, hätte ich mich vielleicht ein bisschen mehr dafür interessiert.« Nach Angaben Portnoys geht die verflochtene Geschichte von Judentum und Marihuana bereits auf die ältesten Schriften des Judentums zurück.

tempel So gebe es Hinweise in Exodus, im Lied der Lieder, dem Talmud und anderen traditionellen jüdischen Texten auf eine Pflanze, die als KaNeh-Bosem bekannt ist (phonetisch verwandt mit dem Wort Cannabis), was mit »duftendes Schilf« oder »aromatisches Rohr« übersetzt wird. Es war eine Substanz, die im Räucherwerk verwendet wurde, das in Jerusalems alten Tempeln verbrannt wurde, sowie Teil eines Salböls, mit dem sich die Hohepriester selbst einrieben.

»Es scheint also, dass es ein fester Bestandteil des jüdischen Rituals war, Cannabis als Weihrauch zu verbrennen«, sagte Portnoy, »offensichtlich ist dieser Brauch nach 2000 Jahren Diaspora verschwunden.«

Das wiederum liegt an dem talmudischen Prinzip des Dina de-malchuta dina (»Das Gesetz des Landes ist Gesetz«). Juden haben die jeweiligen Gesetze des Landes zu befolgen, in dem sie sich befinden. Da Cannabis in westlichen Ländern bis in die jüngste Vergangenheit allgemein illegal oder tabu war, war es auch für Juden nicht erlaubt. Aber in anderen Teilen der Welt, in denen die Droge ein Teil der Kultur war, wurde es manchmal in Rituale integriert.

In Marokko war es zum Beispiel Tradition, dass dort lebende Juden bei Hochzeitsfeiern Haschisch in den Couscous streuten.

So war es in Marokko zum Beispiel Tradition, dass dort lebende Juden bei Hochzeitsfeiern Haschisch in den Couscous streuten. Bei seinen Recherchen fand Portnoy heraus, dass Juden, die Cannabis im Laufe der Jahrhunderte aktiv konsumierten, eher im Nahen Osten lebten, wo Cannabis in Form von Haschisch beliebter war als in anderen Regionen.

Die Ausstellung umfasst eine Reihe von Dokumenten aus der Kairoer Genisa, einer Sammlung von rund 400.000 jüdischen Manuskriptfragmenten aus dem 9. bis 19. Jahrhundert. Dazu gehört ein in Judäo-Arabisch verfasster Brief aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, der an einen Mann namens Abu I-Hasan adressiert war und in dem dieser gebeten wurde, etwas Haschisch für den Briefschreiber zu kaufen.

Er lautet: »Möge der geschätzte Älteste Abu I-Hasan – Gott bewahre ihn – gnädigerweise für den Träger mit dem Silber, das er hat, 50 Dirhams Sammanudi-Seidenimitat besorgen. Er hat auch zwei Karat Silberbarren. Beschafft Haschisch für mich mit ihnen. Nachdem ich deine [Hände] und deine Füße geküsst habe – Frieden.«

App Portnoy sieht hier Bezüge in die Gegenwart: »Für mich ist das wirklich wie die Bezahl-App Venmo aus dem 12. Jahrhundert – hier ist etwas Geld, bitte kauf mir Gras!« Der Vergleich mit der Legalität damals und dem ganz aktuellen Hightech heute sollte jedoch eines nicht vergessen machen: Zwischen diesen beiden historischen Phasen der liberalen Umgangsform mit Cannabis und THC tobte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Glaubenskrieg um diese und andere Drogen.Auf der einen Seite standen Menschen wie der Philosoph, Dichter und Autor Allen Ginsberg, dessen Beat-Generation mit Verve und unter eigenem Körpereinsatz für die Freigabe von allerlei Substanzen stritt. Und auf der anderen Seite stand das »saubere« Amerika.

Am 26. April 1971 sprach Präsident Richard M. Nixon mit seinem Stabschef Bob Haldeman im Oval Office. Da Nixon dort überall Aufnahmegeräte platziert hatte, sind die Zitate erhalten. »Weißt du, es ist schon seltsam, dass jeder dieser Bastarde, die sich für die Legalisierung von Marihuana einsetzen, Jude ist«, so Nixon. »Was, um Gottes Willen, ist mit den Juden los, Bob? Was ist mit denen? Ich glaube, das liegt daran, dass die alle Psychiater sind.«

Nur zwei Monate später erklärte Nixon den Drogenmissbrauch zum »Staatsfeind Nummer eins«. Knapp 51 Jahre später hätte Nixon nur 15 Kilometer von seinem Wohnort in Saddle River (New Jersey) entfernt legal Cannabis erwerben können.

Therapie Für Yosef Glassman, Gerontologe und Rabbiner, der sich für die Verwendung von Marihuana in der Schmerztherapie einsetzt, ist das Inhalieren von Cannabis-Rauch nicht die geeignete Einnahmeform, um Schmerzen zu lindern. Glassman, der mit einem Vortrag zu Cannabis als Therapieform die Ausstellung Am Yisrael High am 5. Mai mit eröffnete, bevorzugt Tropfen. »Damit kann man die Dosis in Milligramm bemessen und muss dem Patienten nicht sagen: ›Rauch das hier.‹«

Neben dem schmerzlindernden Effekt von THC verwies Gerontologe Glassman in seinem Eröffnungsbeitrag auch auf Studien, die dem Wirkstoff eine aufregungs- und angstmildernde Wirkung bei Alzheimer- und Parkinson-Erkrankten zuschreibt. Außerdem solle er die Zitterattacken bei Parkinson abschwächen. »Es gibt Versuche mit Tieren, die zeigen, dass THC die Alterung des Hirns aufhält – wegen seiner entzündungshemmenden Wirkung.«

Rabbiner Glassman empfiehlt Freizeitkonsum von Cannabis höchstens einmal in der Woche.

So weit zur Wissenschaft. Was den privaten Umgang mit Cannabis anbelangt, ist der Rabbiner allerdings zurückhaltender. Er lehnt den Terminus »Freizeitdroge« im Kontext mit THC ab und warnt davor, »dass sich Cannabis nicht gut mit Arbeitslosigkeit verträgt. Es kann die Motivation herabsetzen. Die einzige Zeit, zu der aus meiner Sicht ein verantwortungsbewusster Erwachsener konsumieren sollte, ist vielleicht einmal die Woche am Freitagabend.«

Die Vernissage der Ausstellung war allerdings an einem Donnerstag. Gesponsert wurde sie übrigens von »Jews and Booze«. Das kann man sich nicht ausdenken.

Die Ausstellung »Am Yisrael High« ist noch bis Dezember im YIVO Institute for Jewish Research, 15 W. 16th St., New York zu sehen.

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