Stefan Zweig ist – neben Thomas Mann und Bertolt Brecht – der wohl berühmteste deutschsprachige Autor des 20. Jahrhunderts. Besonders populär war er in der Zeit zwischen den Weltkriegen, aber auch nach 1945 wurden seine Bücher viel gelesen, etwa die historischen Miniaturen Sternstunden der Menschheit oder die Schachnovelle.
Vor seinem 75. Todestag am 23. Februar ist das Interesse an Stefan Zweig wieder neu aufgeflammt: Im vergangenen Jahr kam Maria Schraders Film Vor der Morgenröte in die Kinos, der womöglich in den nächsten Tagen einem Oscar erhalten wird; George Prochnik verfasste eine neue, viel gelesene Biografie (Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt).
NS-Zeit Dieses neue Interesse hat mehrere Gründe. Leben und Werk des überzeugten Europäers Zweig sind eine Mahnung für die Europäer von heute. Der Schriftsteller, der in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1942 im brasilianischen Exil Suizid beging, war verzweifelt über die politische Entwicklung in Europa. »Alle die fahlen Rosse der Apokalypse sind durch mein Leben gestürmt«, schrieb er in seiner nachgelassenen Autobiografie Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Heute, wo Europa aus nationalistischen Motiven nicht zu einer wirklichen Zusammenarbeit finden kann, liest man Stefan Zweig mit neuer, geschärfter Aufmerksamkeit.
Sein Weg von der Geburt am 28. November 1881 in Wien bis zum Tod in Petrópolis nahe Río de Janeiro führte Stefan Zweig fast durch die ganze Welt. Er stammte aus einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus, widmete sich früh der Literatur, unternahm noch vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Reisen, bis nach Amerika und Indien. Seinen festen Wohnsitz hatte er von 1919 bis zur Emigration 1934 in Salzburg. Er begegnete zahlreichen Künstlern und Politikern wie Auguste Rodin und Walther Rathenau. 1926 hielt er in Wien die Grabrede für Rainer Maria Rilke, 1929 für Hugo von Hofmannsthal. 1939 sprach er am Grab von Sigmund Freud in London.
In der Autobiografie erzählt Zweig sein Leben bis zum Kriegsbeginn 1939. In ihrer Mischung aus persönlicher Erinnerung und historischer Darstellung und Interpretation erweist sie sich als Meisterwerk und lässt die Geschichte in großer Intensität nacherleben. Vor allem liest man sie aber auch als Warnung »vor dem Nationalismus, der die Blüte unserer europäischen Kultur vergiftet hat«.
Verlust Die erwähnte neue Zweig-Biografie von George Prochnik sieht denn auch im Schmerz über den Nationalsozialismus und in Zweigs Verlust der Heimat die Hauptursachen für den Suizid des Dichters. Prochnik zitiert Zweigs Freund und Nachlassverwalter Richard Friedenthal: »Aus Freundschaften erwuchs ihm sein Werk in den Anfängen, Freundschaften haben es immer wieder genährt und gesteigert, und aus dem Mangel an lebendigem Kontakt mit seinen Freunden, an dem Heimweh nach den Menschen, die ihm wert waren, ist er zugrunde gegangen.«
Unter deutschen Emigranten war der gemeinsam mit seiner Frau Lotte begangene Suizid sehr umstritten. Der Schriftsteller Franz Schoenberner schrieb in der amerikanischen Zeitschrift The New Republic: »Er hatte nicht das Recht, seine Kameraden mitten im Kampf zu verlassen.« Zweig aber war kein politischer Aktivist wie viele Emigranten, kein Kämpfer.
Dass Stefan Zweig heute wieder so gegenwärtig ist, hat auch einen juristischen Grund: 70 Jahre nach dem Tod eines Autors werden die Rechte an seinem Werk frei. So haben zwei Theater, die Schaubühne in Berlin und das Staatstheater in Wiesbaden, Zweigs einzigen Roman Ungeduld des Herzens in jeweils eigenen Fassungen auf die Bühne gebracht. Der Schweizer Verlag Diogenes veröffentlichte jüngst eine fünfbändige Taschenbuch-Edition. Und pünktlich zum Todestag von Zweig zeigen Dokumentationen im Fernsehen eindringlich Stationen aus seinem Exil.
Brasilien Sein Leben nach der Flucht führte ihn über England und New York nach Brasilien. Finanziell litt Zweig nie Not, er konnte sogar Schriftstellerkollegen wie Joseph Roth und Ernst Weiß durch monatliche Renten unterstützen. Sein Wunsch aber, Brasilien zu seiner neuen Heimat zu machen, scheiterte.
An seine Freunde schrieb er: »So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.«