Auf seinen Doktortitel will Karl Theodor zu Guttenberg jetzt endgültig verzichten. Bewusst aus anderen Quellen abgepinnt zu haben, bestreitet der Verteidigungsminister aber nach wie vor. Dabei könnte der Baron sich bei seiner Aneignung fremder Texte auf illustre Vorbilder berufen, von Goethe über Thomas Mann bis Brecht und dessen selbst eingestandener »Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums«.
Sogar der Eckpfeiler der abendländischen Zivilisation könnte in Teilen plagiiert sein. Nach Ansicht jüdischer Bibelwissenschaftler jedenfalls haben die Autoren des Neuen Testaments sich großzügig beim Talmud bedient. Allen voran der Evangelist Matthäus. Wer kennt nicht dessen »Euer Ja sei ein Ja und Euer Nein ein Nein.«? Weniger geläufig sein dürfte das talmudische Traktat Baba Metzia 49a, wo es frappierend ähnlich heißt »dass dein Ja aufrichtig sein muss, und dein Nein aufrichtig sein muss!«
bergpredigt Auch ein Kernsatz christlicher Nächstenliebe ist so originell möglicherweise nicht: »Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden«, sagt die Bergpredigt – aber auch der Talmud (Schabbat 151b): »Wer sich seiner Mitmenschen erbarmt, dessen erbarme man sich im Himmel.«
Redensartlich ist die Jesus zugeschriebene rhetorische Frage »Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?« (Matthäus 7,3). Die Autorenschaft an dieser eindrucksvollen literarischen Metapher kann für sich jedoch auch der jüdische Gesetzeskommentar reklamieren. »Wenn jemand zu einem sagte: nimm fort den Splitter zwischen deinen Augen, so erwiderte ihm dieser: nimm fort den Balken zwischen deinen Augen« (Awoth 2,20). Stilistische und metaphorische Ähnlichkeiten fallen auch auf, vergleicht man Matthäus (7,2) » ... mit dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden« und die talmudische Version »Mit dem Maße, mit dem ein Mensch misst, misst man ihn« aus Sanhedrin 100a.
wer wars? Hat Matthäus abgeschrieben? Oder haben umgekehrt, wie manche christlichen Theologen glauben, rabbinische Autoren den Evangelisten plagiiert? Dann hätten sie Grundregeln ihres Glaubens verletzt. In Copyrightfragen unterscheidet das Judentum zwischen dem erlaubten Zitieren einer bestimmten Quelle – »b’schem omro« – und dem verbotenen »genevat da’at«, dem Raub von Gedankengut. Quellenangaben sind daher ein Muss. Deshalb finden sich in den rabbinischen Schriften immer wieder Formulierungen wie »Rabbiner X sagte im Namen von Rabbiner Y.« Der jüdischen Tradition zufolge zeigt der Schüler damit nicht nur, was er gelernt hat, sondern erweist seinem Lehrer auch den nötigen Respekt.
Ob Talmud oder Evangelist: Wer immer der Urheber des Originals sein mag, kann sich mit Oscar Wilde trösten. Der wurde auch plagiiert und meinte dazu entspannt: »Nachahmung ist die aufrichtigste Form der Schmeichelei.«