Sprachgeschichte(n)

Alles nur aus Daffke

Wie eine hebräische Gewissheit zum deutschen Trotz wurde

von Christoph Gutknecht  16.03.2015 16:46 Uhr

»Aus Daffke« heißt auf Deutsch »erst recht!«. Foto: Thinkstock

Wie eine hebräische Gewissheit zum deutschen Trotz wurde

von Christoph Gutknecht  16.03.2015 16:46 Uhr

In Viola Roggenkamps vor einiger Zeit in dieser Zeitung veröffentlichtem Beitrag »Wer kann hier die Brachot?« (www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/20299) findet sich der Satz: »Ihr alter Vater hat darauf bestanden, dass sie daffke über die Feiertage diesmal in Deutschland bleibt.«

Das Adverb »daffke« hat die Autorin hier so verwendet, wie es im Jiddischen üblich ist und in Wörterbüchern definiert wird. So erläutert zum Beispiel schon das 1776 in Prag erschienene Nützliche Handlexicon der jüdischen Sprache »davko« mit der Bedeutung »ganz gewiss, sicher« anhand des Beispiels »Bring mir davko godol moos, aber kein kottenes, d.i. bring mir gewiss großes Geld, aber kein kleines.«

Hebraismen »Daffke« zählt zu den 100 häufigsten Hebraismen im Jiddischen. Weinberg nennt in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) noch das Adjektiv »dafkig« im Sinne von »trotzig, widerspenstig« und das Substantiv »dafkigkeit« für »Bockigkeit, Renitenz«. Für den »Querkopf« erwähnt er – wie schon Bruno Kirschner im Abschnitt über »Vulgärausdrücke« im Jüdischen Lexikon (1930) die Bezeichnung »dafkenist«.

Der westjiddische Ausdruck, der auf das hebräische Wort »dawqa/davka« mit den Bedeutungsnuancen »nur so (und nicht anders), durchaus« zurückgeht, ist über das rotwelsche »dafko«, das für »durchaus, absolut« steht, ins Deutsche gelangt.

Raffke Kurt Tucholsky schrieb 1922 ein Gedicht mit dem Titel »Raffke«: »Mein Vata war ein kleiner Weichenstella,/und meine Jugend, die war sehr bewegt –/ick stand doch damals in ’n Jemisekella,/wo meine Frau die Jurken einjelegt./Denn stieg ick uff. Und wurde richtig Raffke./Und steckt die janze Welt in ’n Dalles drin: –/Det macht mir nischt, denn ick vadiene daffke./Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!«

Im Deutschen, nicht im Jiddischen, wurde neben dem Adverb auch das Substantiv »Daffke« bekannt – seit dem 20. Jahrhundert gemeinhin in der als berlinerisch verorteten umgangssprachlichen Redensart »(etwas) aus Daffke (tun)«, im Sinne von »(etwas) nun erst recht, aus Trotz, nur zum Spaß (tun)«.

In der Zeitschrift »Muttersprache« (1956) erläutert S. A. Wolf, bei dieser Phrase sei an die Stelle des Wortes »Trotz« das ins Deutsche umgesetzte jiddische Wort »davko« getreten. Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2002) präzisiert: »Die deutsche Wendung beruht auf der Hypostasierung einer satzwertigen Partikel.« In seinem Wörterbuch des Rotwelschen (1956) umschreibt Wolf »etwas aus Daffke tun« als »etwas ganz bestimmt tun, obwohl es eigentlich unterbleiben sollte oder müsste«.

Lied Knapper, vor allem lustiger, formulierte es der Librettist Marcellus Schiffer in einem Lied mit dem passenden Titel »Daffke«, das er 1930 zur Musik von Friedrich Hollaender schrieb: »Aus ›Daffke‹ heißt auf Deutsch ›erst recht!‹/Man tut sehr viel, was man nicht möcht’ aus Daffke!/Was man aus ›Trotz‹ tut und aus ›Wut‹/und was man aus ›Gemeinheit‹ tut, heißt ›Daffke!‹«.

Dazu passt, was Wolf Biermann 1993 im »Spiegel« über die wiederentdeckten Briefe Georg Büchners und ihre Bedeutung für die Gegenwart äußerte: »Viele aus Deutschland geflohene Demokraten wurden im Ausland erst so richtig und aus Daffke deutschnational.«

Stefan Heym prägte in seinem Erzählungsband Immer sind die Männer schuld (2002) sogar die Doublette »aus Trotz und aus Daffke«. Über den Apostel Petrus heißt es dort, er sei »eingeschlafen im Garten Gethsemane, aber hat müssen abhauen danach das Ohr von dem Malchus aus Trotz und aus Daffke, weil er hat versäumt aufzuwecken seinen Herrn Jesus«.

Saarbrücken

Moderne Galerie zeigt Illustrationen von Marc Chagall

Die Schau »Marc Chagall. Die heilige Schrift« ist bis zum 25. April 2025 zu sehen

 21.11.2024

Fußball

Neuer wackelt: Plötzliche Chance für Peretz im Bayern-Tor?

Manuel Neuer plagt »ein Stechen im Rippenbereich« und Sven Ulrteich fällt vorerst aus persönlichen Gründen aus

 21.11.2024

Gut besucht: die Konferenz in Berlin

Zionismus-Tagung

Vom Recht auf einen souveränen Staat

In Berlin diskutieren Referenten und Teilnehmer aus Deutschland und Israel verschiedene Aspekte

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024