Manchmal sehen Helden gar nicht wie Helden aus. Roberto Saviano zum Beispiel. Der 37-jährige Neapolitaner ist weder besonders groß noch außerordentlich stark. Er hat eine Glatze, ein freundliches Lächeln, dichte Augenbrauen und könnte ein ganz normaler Angestellter in einer italienischen Bank sein. Oder vielleicht ein Saftverkäufer in Tel Aviv.
Aber der äußere Eindruck täuscht. Saviano hat mehr Mut aufgebracht, als so mancher Zweimeter-Schrank-Pumper. Er hat etwas getan, was innerhalb westlicher Demokratien zum Glück weitestgehend überflüssig geworden ist: Er setzt für seine journalistische Arbeit sein Leben aufs Spiel. Mit seinen Büchern, Artikeln und TV-Auftritten hat Saviano der Multi-Milliarden-Industrie der italienischen Mafia massiv geschadet – und so seine eigene friedliche Welt selbst zerstört.
anschläge Dafür zahlt er einen sehr hohen Preis. Denn mit seinen Wahrheiten über die brutalen Machenschaften der Mafia, insbesondere der Camorra von Neapel, die 50 Prozent aller dortigen Geschäfte kontrolliert, hat er ein Todesurteil bewirkt, das bis heute auf Vollstreckung wartet. Hätten die Mafiosi, deren Namen er öffentlich nannte, auch nur den Hauch einer Möglichkeit zum Angriff, wäre es vorbei mit ihm.
Was treibt den Schriftsteller und Journalisten Roberto Saviano an? Weshalb nimmt er die Gefährdung seiner Person und seiner Familie in Kauf? »Ich möchte bloß schreiben, was ist. Und das ist in Italien eben lebensgefährlich«, sagt er ebenso schlicht wie eindrücklich.
Er, der die italienische Mafia und ihre Geschäfte besser kennengelernt hat als vermutlich kaum ein anderer Journalist, weiß sehr genau: Sobald die Berichterstattung über seine Person weniger wird, die sich zusammen mit seinen vom italienischen Staat finanzierten Leibwächtern wie ein Schutzschild um ihn gelegt hat, steigt die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen auf ihn. »Die Camorra vergisst nicht. Niemals«, weiß Saviano.
Machenschaften »Zeit«-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, ein Freund und Kollege Savianos, weiß, was für ein Opfer Roberto Saviano gebracht hat, auch abseits von der ständigen Lebensbedrohung. Er schätzt Saviano als einen Schreiber, der nicht wie viele Journalisten mal eben in einen Kiez oder ein Dorf einfällt, sich ein paar Notizen macht, eine schmissige Reportage schreibt und dann wieder in seine schöne Großstadtwohnung zurückkehrt. Schließlich lebt Saviano mit der Mafia, seitdem er die Machenschaften der Camorra in seinem weltweitem Durchbruch Gomorrha (2006) beschrieben hat.
Di Lorenzo berichtete unlängst in einem Zeitungsartikel mit der Überschrift »Einer, der mit der Feder auf Verbrecher zielt« von einem entspannten Tag mit Roberto Saviano in einem Restaurant irgendwo am Mittelmeer. Das Lokal war zuvor ausführlich von einem Personenschutz-Team untersucht worden. Der Bereich, in dem Saviano und di Lorenzo speisten, war weiträumig mit Tüchern abgetrennt worden, um der Mafia keine Sicht zu bieten. Vor den Freunden lag das Meer, von links und rechts drohte keine Gefahr, als Taucher würden die Mafiosi eher auch nicht in Erscheinung treten.
Ob er denn jetzt hier nicht einfach mal baden gehen könne, fragte Lorenzo nach dem Essen. Aber Saviano konnte nicht. Er antwortete, so schreibt es di Lorenzo in seinem Artikel: »Wenn ich jetzt hier baden gehen würde mit meinen Leibwächtern am Strand, könnte irgendein Paparazzo ein Foto machen, und dann würde es heißen: Saviano geht schön baden, und wir müssen dafür seine Leibwächter mit unseren Steuergeldern bezahlen.« Ähnliches war ihm schon einmal passiert, da hatte er bloß Zeitung in einem Café gelesen.
Verstecke Wer Saviano begegnet, merkt: Der Mann hat keine großen Allüren, wie viele Menschen, die wirklich etwas im Leben geleistet haben. Er ist trotz seiner ständigen Bewachung leutselig, nahbar. Bei Interviews mit Journalisten macht er gern Selfies, zeigt ein breites, echtes Lächeln. Was ihm zusätzlich ein bisschen Ruhe gibt: das Wissen um sicherere Orte für ihn als ein Versteck in Europa. Er verbringt jetzt viel Zeit in den USA – eine willkommene Abwechslung zum Leben in Militärbasen in Italien.
Dabei gibt es auch ein anderes Land, das ihm einen sicheren Hafen bieten könnte: Israel. Zwar gibt es auch im jüdischen Staat Organisierte Kriminalität; nicht wenige Kleinunternehmer mitten in Tel Aviv müssen Schutzgeld zahlen, und gelegentlich explodieren sogar Autobomben. Aber in Israel sind die Verbrecher eben nicht italienisch, sondern eher russisch oder sefardisch geprägt.
Deshalb sagte ihm Schimon Peres sel. A. vor ein paar Jahren, nachdem er Gomorrha begeistert gelesen hatte: »Komm, Junge, lebe bei uns!« Die besten Mossad-Leute würden auf ihn aufpassen. In Israel sei er in Sicherheit. Doch Saviano lehnte ab. Sein Kampf gegen die italienische Mafia und für die Demokratie ist ihm wichtiger als ein dauerhaft sicheres Leben.
israel Alija machen könnte Saviano sofort. Seine Mutter Miriam Haftar, eine Lehrerin, ist Jüdin, sein Großvater gab dem jungen Saviano Tora-Unterricht. Und, so erzählte es Saviano der israelischen Zeitung »Haaretz«: Sein italienisch-jüdischer Landsmann Primo Levi gibt ihm seelisch Kraft, wenn die Menschen nicht glauben wollen, was er an Untaten und Wahrheiten aus den Unterwelten der Mafia kolportiert. Schließlich hatte Levi, wenn er über Auschwitz und den Holocaust schrieb, manchmal ähnliches Unverständnis erfahren.
»Ich habe den Kampf gegen die Camorra schon oft bereut«, sagt Saviano selbstkritisch. Trotz allem will er nicht den Mut verlieren und weitermachen. »Über die Geschichte der Menschheit senkt sich nie der Vorhang«, lautet sein Lieblingszitat, das vom italienischen Antifaschisten Ernesto Rossi stammt. »Die Akteure des Dramas sind wir selbst.«
Der Autor des Porträts lebt in Berlin und ist Reporter bei den Zeitungen Bild und B.Z.