TV-Kritik »Maybrit Illner«

Alle Klarheiten beseitigt

Diskutierten über den Iran: Florence Gaub, Heiko Maas, Maybrit Illner, Shahrzad Osterer, Arye Sharuz Shalicar und Constanze Stelzenmüller (v.l.) Foto: ZDF/Svea Pietschmann

Am Ende stand die etwas ernüchternde Erkenntnis: Das Mullah-Regime dürfe zwar auf keinen Fall in den Besitz einer Atombombe gelangen, militärische Mittel anzuwenden, sei aber auch schlecht. Vielmehr müssten sich alle wieder an einen Tisch setzen und reden. Wo ein gemeinsamer Wille ist, sollte da nicht auch ein Weg sein?

Wie man das Drängen der Iraner nach einer Atombombe und damit nach regionaler Hegemonie stoppen kann, wurde auch bei Maybrit Illners Sendung Iran und die Bombe – war Europa zu naiv? nicht so recht klar. Auch nicht, was für die Lösung der anderen seit Jahren im und rund um den Iran schwelenden Konflikt getan werden kann. Zur Situation Israels, das seit Jahren der iranischen Bedrohung ausgesetzt ist, wurde auch nur wenig Konkretes gesagt.

Der israelische Publizist Arye Sharuz Shalicar, in Deutschland geborener und aufgewachsener Sohn iranischer Juden, verwies gleich zu Beginn auf den Handlungsdruck. Der Iran sei der Hauptstörenfried in der Region. »Wir sind jetzt in einer Periode, wo man wirklich Gas geben muss«, um einen atomaren Wettlauf zu verhindern. Nach israelischer Einschätzung könnte Teheran in den nächsten ein, zwei Jahren zur Atommacht werden, sagte Shalicar. Das würde Reaktionen in der arabischen Welt nach sich ziehen.

Vor Kurzem hatte Teheran angekündigt, seine Verpflichtungen aus dem 2015 geschlossenen Abkommen auszusetzen und die Urananreicherung wieder hochzufahren.

Teheran Vor Kurzem hatte Teheran angekündigt, seine Verpflichtungen aus dem 2015 geschlossenen Abkommen auszusetzen und die Urananreicherung wieder hochzufahren. Ist der Iran-Deal, vom dem sich auch die USA verabschiedet haben, damit Makulatur?

»Wenn wir dieses Abkommen nicht hätten, müsste man befürchten, dass der Iran schon jetzt im Besitz von Kernwaffen wäre,« warf Bundesaußenminister Heiko Maas ein. Man wolle den 2015 gemeinsam mit den USA, Großbritannien, Frankreich und der EU ausgehandelten »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA) retten, sagte Maas. Dazu müsse man sich mit Teheran aber an einen Tisch setzen und etwas für die Iraner Verlockendes in der Tasche haben.

Abkommen Für Florence Gaub vom Europäischen Institut für Sicherheitsstudien in Paris ist dagegen nicht entscheidend, welche juristischen Klauseln in einem Abkommen mit dem Iran hineinverhandelt werden können. Es stelle sich vielmehr die grundsätzliche Frage, ob dem Iran überhaupt noch Vertrauen entgegengebracht werde.

Weder in Israel noch in Saudi-Arabien sei das momentan der Fall, beide Länder seien nicht in die Verhandlungen mit Teheran einbezogen gewesen. Auch die USA hätten sich verabschiedet. »Was jetzt nötig ist, ist nicht ein neu ausgehämmerter Deal mit noch mehr Prozedere und Paragrafen. Sondern man müsste in erster Linie den Kontext schaffen, in dem wieder mehr Vertrauen an den Tisch gebracht wird«, meinte Gaub.

Maybrit Illner fragte nach: »Waren und sind wir zu gutgläubig und zu vertrauensselig gegenüber den Iranern?«

Maybrit Illner fragte nach: »Waren und sind wir zu gutgläubig und zu vertrauensselig gegenüber den Iranern?« Maas verneinte. Man habe das Abkommen ja gerade deswegen ausgehandelt, weil man kein Vertrauen gehabt habe in die Beteuerungen Teherans, die Atombombe nicht anzustreben. Seitdem die USA aus dem JCPOA ausgestiegen seien, sei man keinen Schritt weitergekommen, so der SPD-Politiker. Er sei auch nicht einverstanden mit der Rolle, die der Iran in der Region spiele, einschließlich der ständigen Drohungen gegenüber Israel. Neben Druck brauche man aber »Gründe und Angebote, den Iran an den Tisch zu bekommen«. Er habe nicht den Eindruck, dass »der maximale Druck aus Washington uns irgendeinen Schritt weitergebracht hat«, sagte Maas.

Tendenz Constanze Stelzenmüller vom Thinktank Brookings sagte, die Hauptakteure in Washington seien sich einig, dass die von Trump-Vorgänger Obama vorangetriebene Iran-Diplomatie gescheitert sei. Es gebe ferner sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten die Forderung, das US-Engagement im Nahen und Mittleren Osten zurückzufahren, so Stelzenmüller. Langfristig ziehe sich Washington zurück, Europa müsse seine neue Rolle aber noch finden.

Der Dialog mit dem Iran sei notwendig, um eine militärische Eskalation zu vermeiden, gleichzeitig brauche es aber auch Druck, fand Arye Sharuz Shalicar – und bekam dafür Applaus vom Studiopublikum. Strategisch hätten zwar alle gleiche Ziele. Während die USA und Israel aber nur »maximalen Druck« auf Iran ausübten, kämen für die Europäer lediglich Gespräche infrage. Man müsse da einen Mittelweg finden, schlug Shalicar vor.

»Wir gehen ja genau diesen Mittelweg«, entgegnete Maas. Der Druck auf Teheran werde doch gerade erhöht. Man habe schließlich den im Atomabkommen vorgesehenen Schlichtungsmechanismus aktiviert. Aber man dürfe keine Militärlogik verfolgen, der Nahe Osten sei ja ein Pulverfass.

Angela Merkel Illner stellte die richtigen Fragen, bekam von ihrer Expertenrunde aber selten konkrete Antworten. Was würde Angela Merkels Aussage, der Schutz Israels sei deutsche Staatsräson, denn nun konkret bedeuten im Hinblick auf den Iran, wollte die Moderatorin wissen. Florence Gaub lieferte als Antwort eine lange Abhandlung über die zahlreichen in der Region schwelenden Konflikte, zu Israels besonderem Schutzinteresse sagte sie nichts.

Wahrscheinlich war die Illner-Redaktion mit der Sendung zu ambitioniert. Das Thema war eindeutig zu vielschichtig für eine einstündige Diskussion.

Wahrscheinlich war die Illner-Redaktion mit der Sendung zu ambitioniert. Das Thema war eindeutig zu vielschichtig für eine einstündige Diskussion. Die sprang munter hin und her zwischen iranischem Atom- und Raketenprogramm, der Lage im Nachbarland Irak, dem besonderen Schutzbedürfnis Israels und der deutschen Haltung dazu, dem Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs durch die Iraner, den Protesten gegen das iranische Regime, der möglichen Naivität der Europäer gegenüber den Mullahs, den Absichten der demokratischen Präsidentschaftsbewerber, der Rechtmäßigkeit des US-Militärschlags auf Soleimani, den Sanktionen und auch den schwierigen Versuch der Europäer, mit dem Iran Handel zu treiben, und vielem mehr. Wieder wurde den Fernsehzuschauern deutlich, dass in der internationalen Politik bekanntlich alles mit allem zusammenhängt.

Was brächte ein neues Abkommen, wenn man ohnehin kein Vertrauen in den Vertragspartner habe, fragte Illner. Arye Sharuz Shalicar zeigte sich skeptisch. »Der Iran wurde immer und immer wieder der Lüge überführt, die Welt wurde betrogen«, sagte er. Das Ganze sei kein Spiel. Man müsse großes Misstrauen haben.

Regime Auch nach innen verhalte sich das Regime in Teheran nicht ehrlich. »Die Menschen im Iran wissen ganz genau, dass das System nicht reformierbar ist«, verwehrten sich aber auch dagegen, Demokratie durch ausländische Staaten aufgezwängt zu bekommen, sagte der fünfte Studiogast, die 2004 aus dem Iran nach Deutschland gekommene Journalistin Shahrzad Osterer.

An den deutschen Außenminister gewandt, sagte sie: »Die Menschen gehen dort auf die Straße und rufen laut nach einem Referendum über das politische System im Land. Herr Maas, Sie sitzen am Verhandlungstisch mit den Iranern. Fordern Sie doch ein offenes Referendum über die Islamische Republik als Staatsform. Ich stehe hinter Ihnen, wenn Sie sagen, Sie wollen das Atomprogramm retten. Aber das darf nicht auf Kosten der Menschenrechte im Iran passieren.«

Maas parierte kühl. Selbstverständlich sei er für das Recht der Iraner auf freie Meinungsäußerung. Er wisse aber nicht, »ob es den Menschen, die im Iran zurzeit auf die Straße gehen, hilft, wenn die westliche Welt den Iran auffordert, ein Referendum zu machen.« Der iranischen Führung den Vorwand zu geben, die Protestierer seien doch alles Agenten des Westens, wäre falsch, meinte Maas.

Es nütze nichts, nur Pressemitteilungen von Deutschland aus zu verschicken. Man müsse vielmehr mit dem Iran reden. Und Druck ausüben. »Wir haben Druckmittel, die wir auch nutzen müssen, nicht nur beim Atomthema, sondern auch bei den Menschenrechten.«

Welche Druckmittel der Minister zu gegebener Zeit einzusetzen plant, verriet er dann aber doch nicht. Und so waren am Ende der Sendung fast alle Klarheiten beseitigt.

Meinung

Nan Goldin: Gebrüll statt Kunst

Nach dem Eklat in der Neuen Nationalgalerie sollte Direktor Klaus Biesenbach zurücktreten

von Ayala Goldmann  25.11.2024

Hochschule

Das Jüdische Studienwerk ELES feiert sein 15. Jubiläum

Als Begabtenförderungswerk will es junge jüdische Studenten auch weiter für das Gespräch stärken - gerade in Zeiten von Krisen und Konflikten

von Stefan Meetschen  25.11.2024

Rezension

Trotzki-Biograf und Essayist

Isaac Deutschers Band »Der nichtjüdische Jude« zeigt Stärken und Schwächen des eigensinnigen Historikers

von Marko Martin  25.11.2024

Sehen!

Fluxus in Köln

Das Museum Ludwig widmet Ursula Burghardt und Ben Patterson eine Doppelausstellung

von Katharina Cichosch  24.11.2024

Amos Oz

Der Fehlbare

Biograf Robert Alter würdigt den Literaten und politischen Aktivisten

von Till Schmidt  24.11.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Schweißausbrüche, Panikattacken und eine Verjüngungskur auf dem Podium

von Margalit Edelstein  24.11.2024

Kulturkolumne »Shkoyach!«

Wenn Fiktion glücklich macht

Shira Haas und Yousef Sweid sind in »Night Therapy« weitaus mehr als ein Revival der Netflix-Erfolgsserie »Unorthodox«

von Laura Cazés  24.11.2024

Aufgegabelt

Boker tow: Frühstück

Rezepte und Leckeres

 24.11.2024

Auszeichnung

Historiker Michael Wolffsohn erhält Jugendliteraturpreis

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur würdigt Engagement in der Geschichtsvermittlung

 23.11.2024