Kontroverse

Alle Jahre wieder Antisemitismus?

Bereits 2014 und 2018 veröffentlichte die SZ Zeichnungen, die antisemitische Stereotype reproduzierten. Foto: imago images/Schöning

Erneut hat eine in der »Süddeutschen Zeitung« (SZ) veröffentlichte Karikatur heftige Diskussionen über antisemitische Motive ausgelöst. Die Zeichnung des überlebensgroß wirkenden ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der sich Anfang der Woche per Videoschalte an das Weltwirtschaftsforum in Davos gewandt hatte, wurde von vielen Beobachtern in den sozialen Netzwerken als anstößig empfunden.

Das American Jewish Committee (AJC) in Berlin reagierte mit Empörung und meinte, die Karikatur hätte auch im Nazi-Hetzblatt »Der Stürmer« so erscheinen können. »Sie verdeutlicht erneut, wie tief antisemitische Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft verankert sind«, so das AJC in einem Tweet.

In die gleiche Kerbe schlug Michaela Engelmeier, Generalsekretärin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Sie schrieb auf Twitter: »Eine antisemitische Karikatur  à la ›Stürmer‹ in der SZ. Euer Ernst, @SZ?«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume sagte, die Karikatur des österreichischen Zeichners Josef »Pepsch« Gottscheber erwecke den Eindruck, Selenskyj und nicht Wladimir Putin sei der Aggressor und agiere zudem als »Dominator über das Weltwirtschaftsforum«. Das sei »inhaltlich Quatsch« und erinnere an den antisemitischen Verschwörungsmythos des »Great Reset«. Die Zeichnung sei »wahrlich kein Meisterwerk«, urteilte Blume, auch wenn solche Bilder naturgemäß »mehrdeutig« seien.

Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) schrieb: »Es ist nicht das erste Mal, dass in der Süddeutschen Zeitung eine klar antisemitische Karikatur veröffentlicht wird. Wann werden Konsequenzen gezogen? Folgt eine Entschuldigung?«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Gleich mehrmals war das Blatt in den letzten Jahren mit veröffentlichten Karikaturen aufgefallen, die ihm den Vorwurf einbrachten, antisemitische Stereotype zu transportieren. 2014 stellte die Zeitung den Facebook-Gründer und -Chef Mark Zuckerberg in Form eines Kraken mit Hakennase dar.

2013 hatte die SZ eine bereits zuvor in einem Feinschmecker-Magazin abgedruckte Karikatur des Zeichners Ernst Kahl verwendet, die ein gefräßiges Monster zeigte. Illustriert wurde damit die Rezension eines »israelkritischen« Buches. Die Redaktion sprach damals von einem Missverständnis.

Ebenfalls 2013 brachte die Zeitung auf der Leserbriefseite als Illustration für ein »Abstellgleis« ein Bild der Gleise des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Direkt daneben waren Zuschriften von Lesern veröffentlicht, von denen einige das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof thematisierten.

VORGESCHICHTE 2018 trennte die SZ sich schließlich von ihrem langjährigen Karikaturisten Dieter Hanitzsch. Dieser hatte zuvor den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Gewand der Eurovision-Gewinnerin Netta mit einer Rakete in der Hand dargestellt, auf der ein Davidstern abgebildet war. In einer Sprechblase stand der Satz zu lesen: »Nächstes Jahr in Jerusalem«.

Netanjahus Gesichtszüge und seine Darstellung mit Segelohren wiesen Beobachtern zufolge – und auch nach Einschätzung des damaligen SZ-Chefredakteurs Kurt Kister - antisemitische Merkmale auf. »Gerade Deutsche müssen noch sorgfältiger und vor allem geschichtsbewusster sein, wenn es um Typisierungen, zumal um typisierende Karikaturen geht«, schrieb Kister in einer Erklärung vor vier Jahren. Zuvor hatte sich sein Chefredakteurskollege Krach für die Hanitzsch-Zeichnung entschuldigt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Diese Einlassung ist in München offenbar in Vergessenheit geraten. Der »Welt«-Journalist Alan Posener warf der SZ sogar vor, sie »könne es nicht lassen«. Er unterstellte, das Blatt gebe dem jüdischen Präsidenten der Ukraine »nicht zufällig Züge, die eher der Karikatur eines Juden als der [tatsächlichen] Physiognomie des Präsidenten ähneln.«

ERKLÄRUNG Weniger scharf urteilte Meron Mendel, Geschäftsführer der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Er schrieb auf Twitter: »Ich bin mir hier ehrlich unsicher: jüdische Symbole und antisemitische Merkmale fehlen – dann aber die Darstellung [Selenskyjs] als quasi Weltherrscher.«

Die Journalistin Miriam Hollstein nahm den Karikaturisten gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz. »Man kann das für eine sehr schlechte Karikatur halten. Man kann die darin enthaltene (politische) Kritik an Selenskyi absolut daneben finden. Aber: sie ist nicht antisemitisch angelegt. Das ist eine Deutung, die vom Karikaturisten niemals intendiert war«, twitterte Hollstein. Auch SZ-Journalist Ronen Steinke erklärte, er halte die Aufregung im aktuellen Fall für unberechtigt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die »Süddeutsche Zeitung« verteidigte sich am Donnerstag gegen Kritik. Die Pepsch-Karikatur sei »die zeichnerische Umsetzung der Fernsehbilder vom Montag« gewesen, schrieb die Redaktion – und stellte neben die Zeichnung ein Foto, das Selenskyj während seiner Rede auf einer Großleinwand zeigt. »Der ukrainische Präsident auf der Videowand, und damit im XXL-Format, vor dem Publikum in Davos. Sie illustriert, wie dominierend das Thema Ukraine dort ist«, schrieb die SZ.

STEREOTYPE Doch viele überzeugte diese Erklärung nicht. Alan Posener reagierte mit den Worten: »Man vergleiche: lange Nase, Hamsterbacken, stierende Augen, verzerrter Mund. OK, euer ›Karikaturist‹ kann Ähnlichkeit ebenso wenig wie Humor. Geschenkt. Aber warum macht er den jüdischen Präsidenten einer Stürmer-Karikatur ›des Juden‹ ähnlich?«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck schrieb auf Twitter: »Hallo @SZ, ihr merkt es immer noch nicht: @ZelenskyyUa hat weder eine krumme Nase, noch abstehende Ohren, noch thronte er über einer Runde der Weltregierung, noch schaute er so servil dominant wie in eurer Karikatur.«

Und der Bonner Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann erwiderte: »Sorry @SZ, da hilft auch dieser Verteidigungsversuch nicht. Dass die Intention der Karikatur antisemitisch sei, muss ja gar nicht sein. Aber es fehlt ihr jede Sensibilität dafür, womit man antisemitische Stereotype bedient. Könnte also für Bildungsmangel sprechen. Auch peinlich.«

verzeichnung Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, erklärte am Freitag in München, Karikaturen seien eine besondere Form der Meinungsäußerung und von künstlerischer Kreativität – und da müsse es auch große Freiheit geben. »Diese Karikatur allerdings werte ich als üble Verzeichnung des Präsidenten der Ukraine und das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel.«

Die Darstellungsform lasse bei vielen Menschen weit weg von der Realität antisemitische Klischees wachwerden. Spaenle betonte, das Ganze sei auch deshalb für ihn persönlich verstörend, da er die Zeitung in der Berichterstattung über antisemitische Strömungen, Vorfälle und Straftaten schätze.

Inzwischen hat die Chefredaktion der »Süddeutschen Zeitung« die »in dem Zusammenhang entstandenen Irritationen« bedauert. »Wie wir aus Leserreaktionen sehen, weckt die Karikatur bei einigen Menschen antisemitische Assoziationen. Dies war von uns keinesfalls beabsichtigt«, teilte die Chefredaktion am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. »Die ›SZ‹ ist gegen jede Form des Antisemitismus.«

In der Stellungnahme der Chefredaktion heißt es: Nähere man sich der Karikatur über die realen Fernsehbilder des Weltwirtschaftsforums an, so sei sie eine wirklichkeitsnahe Illustration und versinnbildliche, wie stark das Thema »Ukraine-Krieg« dieses Forum präge. Zugleich versicherte die Chefredaktion, man nehme die Kritik ernst. (mit dpa)

Meinung

Nan Goldin: Gebrüll statt Kunst

Nach dem Eklat in der Neuen Nationalgalerie sollte Direktor Klaus Biesenbach zurücktreten

von Ayala Goldmann  25.11.2024

Hochschule

Das Jüdische Studienwerk ELES feiert sein 15. Jubiläum

Als Begabtenförderungswerk will es junge jüdische Studenten auch weiter für das Gespräch stärken - gerade in Zeiten von Krisen und Konflikten

von Stefan Meetschen  25.11.2024

Rezension

Trotzki-Biograf und Essayist

Isaac Deutschers Band »Der nichtjüdische Jude« zeigt Stärken und Schwächen des eigensinnigen Historikers

von Marko Martin  25.11.2024

Sehen!

Fluxus in Köln

Das Museum Ludwig widmet Ursula Burghardt und Ben Patterson eine Doppelausstellung

von Katharina Cichosch  24.11.2024

Amos Oz

Der Fehlbare

Biograf Robert Alter würdigt den Literaten und politischen Aktivisten

von Till Schmidt  24.11.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Schweißausbrüche, Panikattacken und eine Verjüngungskur auf dem Podium

von Margalit Edelstein  24.11.2024

Kulturkolumne »Shkoyach!«

Wenn Fiktion glücklich macht

Shira Haas und Yousef Sweid sind in »Night Therapy« weitaus mehr als ein Revival der Netflix-Erfolgsserie »Unorthodox«

von Laura Cazés  24.11.2024

Aufgegabelt

Boker tow: Frühstück

Rezepte und Leckeres

 24.11.2024

Auszeichnung

Historiker Michael Wolffsohn erhält Jugendliteraturpreis

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur würdigt Engagement in der Geschichtsvermittlung

 23.11.2024