»Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant« lautete der Untertitel des um die Zeit seines 83. Geburtstages veröffentlichten Buches Der Winter unseres Mißvergnügens. »OM Diversant« war der Deckname, unter dem Stefan Heym in den Akten der Stasi geführt wurde. Heym hatte seine Stasiakten studiert und aus der Frucht ihrer Lektüre eine Art Chronik seiner seit 1971 laufenden Bespitzelung geschrieben. Er schilderte, was hinter den Propagandakulissen vorging, als 1976 Wolf Biermann aus der DDR vertrieben wurde.
Im Vorwort hieß es: »Zurückblickend möchte ich sagen, dass hier ein Menetekel erschienen war, ankündigend das Ende des real existierenden Sozialismus – nicht ohne Grund hatte man ihn so präzisiert –, das Ende dieser mißratenen Revolution, dieser Republik ohne eigene Legitimierung.« Aber auch in diesen letzten Lebensjahren – Heym starb 88-jährig im Winter 2001 – ließ er nie einen Zweifel an seiner sozialistischen Überzeugung aufkommen.
So wie in seinem Roman Die Architekten ein Kommunist als zentrale Lichtgestalt trotz seiner Leidenszeit in Stalins Lagern nie den Glauben verliert, ignorierte auch Heym jedwede psychologische oder soziologische Wahrscheinlichkeit und beharrte auch nach der Wende auf der Forderung nach einer »DDR-Demokratie«, einem »dritten Weg« und einer »offenen DDR-Gesellschaft«.
ddr Dabei hatte der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Kaufmannssohn die DDR, die er nach der Rückkehr nach Deutschland als amerikanischer Besatzungsoffizier ausdrücklich zu seiner neuen Heimstatt erkor, in den 40 Jahren ihres Bestehens immer wieder kritisiert. Mit den Behörden geriet er schon früh aneinander.
Die Stasi überwachte ihn, manche seiner Bücher konnten nur im Westen erscheinen. Aber den international angesehenen Autor, der vor den Nazis 1933 über Prag in die USA emigriert war und in Chicago über Heines Atta Troll promoviert hatte, konnte das Regime nicht so penetrant schikanieren wie viele andere Intellektuelle in der DDR. In Schatten und Licht porträtierte er unverhohlen Kleinbürgertum und Spitzelwesen im SED-Staat. In dem Buch 5 Tage im Juni versuchte er, den Arbeiteraufstand des Jahres 1953 zu erklären – und bescheinigte den sowjetischen Truppen, mit ihrer blutigen Niederschlagung der Rebellion einen Weltkrieg verhindert zu haben.
Im Endergebnis handelte es sich bei dem zunächst in der DDR verbotenen Buch um ein Bekenntnis zur DDR, zu einer DDR allerdings, die bereit gewesen wäre, ihre eigene Vergangenheit zu diskutieren. Dass es Heym im Verlauf der Jahre verwehrt wurde, seine Fragen diesem von ihm freiwillig gewählten Staat vorzutragen, ließ die Kluft offenbar werden, die sich zwischen den idealistischen Erwartungen und den realen Machtverhältnissen auftat.
Es folgte 1972 der König David Bericht, eine Etüde über die Spannung zwischen Geist und Macht. Sieben Jahre später der Roman Collin, in dem es um die Lebenslügen eines Paradeschriftstellers der DDR geht. Auch dieses Buch verursachte eine Menge Ärger, Heym wurde aus dem Schriftstellerverband hinausgedrängt. Dennoch gehörte er in der DDR zu den Privilegierten, die Westhonorare auf Konten außerhalb der DDR besaßen und jederzeit problemlos ins Ausland reisen konnten.
heimatlos Es war der »Zwang zur Politik«, der Leben und Schreiben von Stefan Heym dominierte, der als Gymnasiast in Chemnitz wegen eines frechen Gedichtes aus seiner Feder der Schule verwiesen worden war und nach Hitlers Machtübernahme zum überzeugten Sozialisten wurde. Stefan Heym liebte den Widerspruch, seine Feinde saßen in Ost und West. Die deutsche Wiedervereinigung machte ihn heimatlos.
Mit dem Ende der DDR hatte er den Halt für seinen Standpunkt verloren. Die Menschen, die in den Westen drängten, konnte er nicht verstehen und warf ihnen vor, der Banane nachzulaufen. Auch geißelte er das arrogante Auftreten vieler Westler, warf der alten Bundesrepublik vor, die ehemalige DDR wie eine Kolonie zu behandeln. Bis zuletzt bewahrte er sich eine würdevolle Empörerpose, in der er sich auch für kurze Zeit als Abgeordneter der PDS im Bundestag zeigte.
Stefan Heym war ein permanenter Widerspruchsgeist wie seine Romanfigur des Ahasver, treibend zwischen diffuser Moralität und Intellektualität. Vor allem aber war er ein begnadeter Schriftsteller von einer Weltläufigkeit, die nicht unbedingt zu den Markenzeichen seiner Generation gehörte.