Erinnert sich noch jemand an Tony Judt? Der 2010 verstorbene britische Historiker war einer der profiliertesten jüdischen Zionismuskritiker. In einem seinerzeit viel diskutierten Essay schrieb er 2003, in einer Zeit, da die herkömmlichen Nationalstaaten zugunsten transnationaler Zusammenhänge, wie der wachsenden EU, allmählich von der Landkarte verschwänden, sei Israel als jüdischer Nationalstaat ein »Anachronismus«.
Wir lebten, so Judt, »in einer Welt, geprägt von individuellen Rechten, offenen Grenzen und der Herrschaft des Völkerrechts (…) in der Staaten und Völker immer enger miteinander verflochten« seien. Ein ethnisch-religiöser jüdischer Staat sei darum obsolet.
Propheten Das war vor 14 Jahren. In der Zwischenzeit ist in Europa der Prozess der transnationalen Integration ziemlich ins Stocken geraten. Die EU zeigt Erosionserscheinungen. Und im Nahen und Mittleren Osten lösen sich die Nationalstaaten zwar zurzeit tatsächlich auf, aber zugunsten archaischer Stammesstrukturen und imperialer Ambitionen Irans, Russlands und der Türkei. Der ausgewiesene Historiker Judt war als Prophet eine ziemliche Fehlbesetzung.
Damit stand er nicht alleine. Man kennt das auch aus der Volkswirtschaft. Wenn die Börse crasht, sind Konjunkturforscher stets die Erstauntesten. In ihren Prognosen war das nicht vorgesehen. Und wenn Ökonomen sich als Investoren versuchen, geht das in der Regel schief. 1994 etwa gründeten zwei Nobelpreisträger für Wirtschaft einen Hedgefonds namens Long-Term Capital Management (LTCM), der in die Börsengeschichte einging, als er 1998 eine Billionenpleite hinlegte, die damals fast das gesamte amerikanische Finanzsystem ins Wanken brachte.
Die Anleger schauten in die Röhre. Statt Nobelpreisträgern hätten sie ihr Geld lieber Schimpansen anvertrauen sollen. Eine US-Zeitung ließ einmal mehrere Jahre lang einen Affen Aktien kaufen. Das Tier fummelte mit einem Bleistift im Börsenteil des Wall Street Journal herum. Die Aktien, die es dabei zufällig traf, wurden gekauft. Die meisten Jahre lag der Schimpanse über dem Dow Jones Index und den meisten menschlichen Wertpapierberatern.
Bauchgefühl Die meisten israelischen Wähler haben relativ wenig Ahnung von den Komplexitäten des Nahostkonflikts. Sie folgen ihrem Bauchgefühl und stimmen ab, ohne groß nachzudenken. Unter anderem deshalb wird Benjamin Netanjahu immer wieder gewählt. Und Zufall oder nicht, er macht – jedenfalls sicherheitspolitisch – seinen Job nicht schlecht.
Aus dem Chaos in Syrien immerhin hat er Israel weitgehend herausgehalten. Was nicht heißt, dass der Mann nicht demnächst auch fatal falsche Entscheidungen treffen könnte. Auf das Urteil von Wählern in der Politik wie von Schimpansen an der Börse ist nur begrenzt Verlass. Andererseits: Viel schiefer als die Experten liegen sie meist auch nicht.