Arik Brauer

»A Mentsch ist von uns gegangen«

Arik Brauer (1929–2021) Foto: imago/SKATA

Er war, so beginnen Nachrufe. Nein, Arik Brauer war nicht. Er ist und bleibt in meiner Erinnerung so lebhaft und präsent, wie ich ihn zuletzt begegnete: warmherzig, scharfsinnig, humorvoll.

A Mentsch, wie es im Jiddischen heißt. Ein unnachahmlicher, lebenshungriger Mentsch, gesellschaftlich stets wachsam, engagiert und vor allem neugierig auf die weite Welt.

Heimat Arik Brauer hat stets Grenzen hinter sich gelassen, die weite Welt erkundet und neue erschaffen.  Ob als junger Maler, der unter anderem mit Ernst Fuchs und Rudolf Hausner die Wiener Schule des Phantastischen Realismus zum Leben erweckte, als Reisender in Afrika mit dem Fahrrad unterwegs, als Gesangsduo mit seiner großen Liebe und Ehefrau Naomi in Paris, als Bühnenbildner für Opernhäuser in Wien und Zürich, als Sänger, der die »Poesie der Straße« ebenso beherrschte wie den Austro-Pop. Er blieb in seinem Herzen ein »echter Weaner«, der im Künstlerdorf En Hod, unweit von Haifa, eine zweite Heimat fand. 

Er blieb in seinem Herzen ein »echter Weaner«.

Ende Oktober letzten Jahres durfte ich mit meiner Familie, Arik Brauer und Naomi in ihrer Villa aufsuchen. Haya Molcho und Samy Molcho, enge Freunde der Familie, hatten diesen Besuch ermöglicht. Naomi, seine große Liebe, die er 1957 in Israel geheiratet hatte, hatte im gepflegten Garten mit seinen wundersamen Keramik-Skulpturen, Köstlichkeiten aufgetischt. Beinah verlegen entschuldigten sich beide für die Unannehmlichkeit, in Corona-Zeiten eine Maske tragen zu müssen.

In der herbstlichen Atmosphäre blinzelte die Sonne, ein Hauch von Geschichte lag in der Luft. Und es dauerte nur wenige Minuten, bis sie uns einholte. Der anfängliche, kurze Besuch wurde zu einer Zeitreise, aus dem Gespräch wurde eine Begegnung, aus der Begegnung, sein letztes Interview.

Werkstatt Sichtlich berührt, mit leicht rauer Stimme, erzählte er wie einige wenige Tage zuvor, zwei Unbekannte geklingelt hatten. Sie hatten beim Ausräumen des Kellers, wo die Werkstatt seines Vaters gewesen war, alte Schusterwerkzeuge gefunden, die sie ihm persönlich überbringen wollten. Der Anblick seines »Erbes«, wie er trocken, ohne einen Hauch von Verbitterung oder gar Hass kommentierte, ließ uns verstummen. Aus ihm sprach vielmehr die Sehnsucht nach seinem Vater, der im Konzentrationslager ermordet wurde.

Arik Brauer malte täglich, ohne Wenn und Aber.

Auf die Frage, was jüdisch an ihm ist, antwortete er: »Die negativen Erfahrungen der Nazi-Zeit haben mich zum Juden gemacht.« So lebensbejahend Arik Brauer war, so allgegenwärtig lebte die düstere Vergangenheit in ihm fort. Diese Vergangenheit hielt ihn wach und feuerte sein beherztes Eintreten gegen jedes Unrecht. Dem Unrecht setzte er als Kontrapunkt sein unerschöpfliches künstlerisches Wirken entgegen.

Arik Brauer malte täglich, ohne Wenn und Aber. Aufstehen um 6 Uhr früh, mit Naomi frühstücken, malen bis 13 Uhr. Während meine Familie das Museum besuchte, stand ich auf dem Balkon. Wir sprachen über sein Überleben als junger Bub. Er erzählte ohne Ranküne, wie es ihm gelang zu überleben und wie ihm die antisemitische Hausmeisterin das Leben rettete.

Kosmos Zwei Stunden waren wie im Flug vergangen, die Sonne ging unter, es wurde frisch. Als wir die Innenräume der Villa betraten, wurden wir alle leise. In diesem magischen Kosmos voller Kunstschätze herrscht eine elegische dichte Stille. Es fühlt sich an, als ob die Zeit sich ausruht. Die leuchtenden Gemälde wirken wie lebendige Erzählungen, deren Rätselhaftigkeit jeden Besucher in den Bann zieht. An diesem Ort hat alles seinen Platz, jedes Möbelstück eine eigene Geschichte, auch der gelbe »Judenstern«. 

Drei Tage bevor der Lebensatem aus ihm wich, nahm Arik Brauer bewusst Abschied von seinem engen Freud Samy Molcho, der unvergessliche, unnachahmliche Pantomime.

Familie Zwei jüdische Persönlichkeiten, die in Wien ihren Lebensmittelpunkt fanden, nahmen Anteil aneinander und begleiteten sich bis zuletzt. »Arik wußte, dass der Tod ihn bald einholen würde«, sagt Samy Molcho. Er war klar und unaufgeregt. Am 24. Januar, an einem Sonntagabend, ist er friedlich im Kreis seiner großen Familie verstorben.

Wo immer er sein wird, zu Pessach werde ich ihm wieder begegnen.

Er, der jüdische Universalkünstler aus Wien, wird uns in seinen poetisch anmutenden Gemälden, in seinen beseelten Chansons mit seiner Frau Naomi, mit seinen wundersamen Skulpturen, phantasievollen Bühnenbildern, phantastischen Grafiken und originellen Kostümen, erhalten bleiben.

Und er wird uns wie jedes Jahr zu Pessach, mit seinen wundervollen Illustrationen begleiten, die uns vom leidvollen Auszug aus Ägypten und der Befreiung aus der Sklaverei erzählen. Wo immer er sein wird, zu Pessach werde ich ihm wieder begegnen. Mit einem weinenden und lachenden Auge.  

Louis Lewitan ist Psychologe, Berater und Publizist.

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