Der Tisch in dem kleinen Café ist ein Meer aus Farben und Formen. Orange leuchtende Zitrusfrüchte, siebenarmige Leuchter, blau-weiße Flaggen, Schriftzeichen, Wassertürme, Hände, Landschaften, Palmen oder auch junge Menschen in Uniform.
Der Papierstapel, den Sara Neuman und Henrietta Singer vor sich ausgebreitet haben, ist dicht bedruckt mit der Auswahl an Postern, die sie zusammengetragen haben. Rund 600 sind es, aus denen sie wiederum 70 für ihr Projekt »70Posters« ausgewählt haben. »Jedes Poster«, sagt die 28-jährige Henrietta, »steht für ein Jahr in der Geschichte des 1948 gegründeten Staates Israel.« 2018 werden es 70 Jahre sein, und bis dahin soll auch das Buch veröffentlicht werden, an dem die Künstlerinnen seit zwei Jahren arbeiten. Israeli History Through Design soll es heißen und auf Englisch, Deutsch und Hebräisch erscheinen.
traum Henrietta Singer hat Kommunikationsdesign an der Hochschule Mainz studiert und ein Auslandsjahr an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem absolviert. »Dort zu studieren, war immer mein Traum«, erzählt die Frankfurterin. Schon während ihrer Zeit in Israel bestimmte eine Frage ihren Aufenthalt: Kann man eine Nation über ihre Kunst kennenlernen? 2012 hatte sie bereits begonnen, Plakate israelischer Grafiker zu sammeln und sie auch geschichtlich zu chronologisieren. In der National Library, den Central Zionist Archives in Jerusalem und dem Archiv der Designer-Brüder Maxim und Gabriel Shamir konnte sie dann aus dem Vollen schöpfen.
Der Gedanke an ein Buch nahm konkrete Gestalt an, als sie Sara Neuman kennenlernte. Die 32-Jährige ist in Jerusalem aufgewachsen und hat an der Sam Spiegel Film & Television School ein Drehbuch-Studium absolviert. Seit fünf Jahren lebt sie in Frankfurt am Main. Als sie zum ersten Mal Henriettas Poster-Sammlung sah, wurden Erinnerungen aus der Kindheit wach.
Vor allem ein Plakat erregte ihre Aufmerksamkeit, das von »Schalom Achschaw«, der im Jahr 1978 gegründeten »Peace Now«-Bewegung. »Ich erinnere mich an die Bombenattentate 1995 auf Busse in Jerusalem und Tel Aviv«, erzählt sie. Sie war zehn Jahre alt und zu Besuch bei ihrer Großmutter. »Durch das Poster fühlte ich mich in diese Zeit zurückgeworfen.«
Fenster Die beiden jungen Frauen gründeten kurz darauf das Projekt »70Posters«. Ihre Idee war es, die grafische Welt und die persönlichen Erlebnisse zusammenzuführen. Die Poster sind für die beiden Künstlerinnen »kleine Fenster in die Gegenwart und in die Vergangenheit«, sagt Henrietta. Es ist jedoch kein politisches Projekt, betont sie, vielmehr der Versuch, die Geschichte des Staates Israel anhand von Kunst nachzuerzählen.
Die wichtigsten Ereignisse eines jeden Jahres haben sie von 1948 bis heute ausgewählt – die Plakate thematisieren so unterschiedliche Aspekte wie Zionismus, Migration, Krieg, Sport oder auch Gesundheitswesen. »All die Dinge und Ereignisse, die in der Kollektiverinnerung der meisten Israelis verwurzelt sind«, sagt Sara.
Gemeinsam reisten sie erneut nach Jerusalem und Tel Aviv, verbrachten Wochen in Bibliotheken und Archiven, sichteten Tausende Plakate, trafen Designer und auch die Nachfahren bedeutender israelischer Gestalter. In Tel Aviv etwa kamen sie mit Yoram Shamir zusammen, dessen Vater und Onkel Maxim und Gabriel Shamir die Urväter des israelischen Designs sind. Das Bruderpaar, das an der Kunstgewerbeschule Charlottenburg in Berlin studierte, entwarf das Staatswappen und die Flagge Israels. »Der Sohn war begeistert von unserem Projekt«, erinnern sich Sara und Henrietta.
Rückmeldungen Seit sie den Stand ihrer Arbeit für »70Posters« auch auf Facebook dokumentieren, erhalten Henrietta und Sara weltweit positive Rückmeldungen – sogar aus Indien. Das Buch, das entstehen soll, zielt auf jüdische und nicht-jüdische Leser, auf Design- und Kunstliebhaber. »Wir wollen einen neuen Zugang zum Land schaffen«, betonen die Frankfurterinnen. Das Buch soll einen Dialog anstoßen. »Farben und Formen versteht jeder. Auf dieser Basis begegnet man sich einfach anders«, findet Henrietta. Die Texte sollen historische Erläuterungen liefern und persönliche Erinnerungen oder Geschichten.
Und manchmal sind es tatsächlich sehr besondere Geschichten, die zutage kommen: Als Henrietta jüngst einem Freund aus New York die Plakate zeigte, deutete der auf ein Poster der Shamir-Brüder aus den 40er-Jahren, das drei Frauen in Uniform abbildet. »Die ganz rechts ist meine Oma«, sagte der Freund. Sie war eines der Vorbilder für das Plakat eines weiblichen Bataillons.
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